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Einheitliche Verfahren, unbegrenzte Zahlungen: Evangelische Kirche will Missbrauch anders aufarbeiten
Nächste Woche treffen sich Vertreter der Protestanten zur EKD-Synode. Ein Thema: sexualisierte Gewalt und das Verhalten von Amtsträgern. Entschädigungen sollen vereinheitlicht werden.
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Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will die Entschädigung von Missbrauchsopfern vereinheitlichen. Vor der Ende kommender Woche in Würzburg beginnenden EKD-Synode kündigte die amtierende Ratsvorsitzende, die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, im Gespräch mit dem Tagesspiegel an, dass man künftig bundesweit einheitliche Anerkennungsverfahren durchführen wolle.
„Es geht ja um Fälle, die strafrechtlich oft längst verjährt sind“, sagte Fehrs. Deswegen habe die Kirche schon vor längerer Zeit Anerkennnungskommissionen geschaffen, die darüber entscheiden, ob jemand Leistungen in Anerkennung des erlittenen Leids erhält. „Neu ist, dass jeder Betroffene ein Recht auf ein Gespräch mit den Kommissionen erhalten soll, dass also nicht nur nach Aktenlage entschieden wird“, sagte Fehrs. „Und es bleibt bei einer reinen Plausibilitätsprüfung.“
Gelten die Aussagen von Betroffenen als plausibel, solle es individuelle Leistungen geben, deren Höhe vom konkreten Einzelfall abhänge, die aber nach oben unbegrenzt sein könne. Ein Mindestbetrag, dessen Höhe die Theologin noch nicht nennen wollte, soll aber an jeden Betroffenen gezahlt werden.
Die Debatte um die Missbrauchsaufarbeitung hatte in der evangelischen Kirche in den vergangenen Monaten neu an Fahrt gewonnen: Nach der letzten Tagung der EKD-Synode im vergangenen Herbst in Ulm war die damalige Ratsvorsitzende Annette Kurschus zurückgetreten, nachdem sie Fehler im Umgang mit einem möglichen Missbrauchsfall in dem einst von ihr geleiteten westfälischen Kirchenkreis Siegen einräumen musste.
EKD-Vorsitzende soll gewählt werden
Bei der diesjährigen Tagung in Würzburg soll die bislang nur kommissarisch tätige Fehrs zu ihrer Nachfolgerin gewählt werden. Gleichzeitig müssen insgesamt drei Mandate im Rat der EKD nachbesetzt werden, da neben Kurschus der Frankfurter Kirchenpräsident Volker Jung aus Altersgründen aus dem Gremium ausscheidet und das Ratsmitglied Jacob Joussen auch wegen des Umgangs der EKD mit dem Thema Missbrauch seinen Rücktritt erklärt hatte. Um eines der drei freien Mandate bewirbt sich auch der Berlin-Brandenburgische Bischof Christian Stäblein.
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Im Januar war dann die sogenannte „ForuM“-Studie erschienen. Damals war von mindestens 1259 Beschuldigten und mindestens 2225 Betroffenen sexuellen Missbrauchs in der evangelischen Kirche die Rede. Seitdem wurden die Maßnahmen gegen den Missbrauch in den Gliedkirchen der EKD weiter intensiviert. So wurden flächendeckend unabhängige regionale Aufarbeitungskommissionen gegründet, in denen auch Betroffenenvertreter mitarbeiten.
Aufregung hatte es indes um den hannoverschen Landesbischof Ralf Meister gegeben, der zugeben musste, dass seine Landeskirche zahlreiche Missbrauchsfälle nicht an die Studienautoren gemeldet hatte. Betroffene hatten deswegen den Rücktritt des einstigen Berliner Generalsuperintendenten gefordert.
Zuvor hatten 226 Pastoren, Diakone und Ehrenamtliche aus der Landeskirche in einem weiteren Schreiben, dem sogenannten „Brief der 200“, mehr Transparenz in der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs sowie beim weiteren Umgang mit der „ForuM“-Studie gefordert. In Würzburg soll Meister jedoch erneut zum Leitenden Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) gewählt werden.
„Wir brauchen eine höhere Sensibilisierung, was Grenzen und Grenzverletzungen sind, wie Gewalt entsteht, wie sich Systeme und Täterstrukturen etablieren“, sagte Fehrs. Das alles sei mit dem Stichwort „Kulturveränderung“ verbunden.
Das allerdings brauche Zeit. „Gerade deshalb muss das Thema mit konsequenten Maßnahmen auch präventiver Art weiterhin angegangen werden“, so die amtierende Ratsvorsitzende. „Es geht um eine Sensibilisierung – und wer es bisher nicht begriffen hat, muss es spätestens jetzt begreifen und durch stetige Fortbildung und stetige Kritik darauf hingewiesen werden.“
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