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"Ich bin kein Diktator." Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei.

© AFP

Türkei: Erdogan: Ich bin kein Diktator

Erdogan zeigt sich nach dem Putschversuch vom Westen enttäuscht und weist den Vorwurf zurück, er strebe die Alleinherrschaft an. Juncker verteidigt den Flüchtlingspakt mit der Türkei.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat Vorwürfe zurückgewiesen, dass er in Folge des Putschversuches in seinem Land nach Alleinherrschaft strebe. „Ich bin kein Despot oder Diktator“, sagte Erdogan dem Sender Al-Dschasira nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am späten Samstagabend. Er würde kein Recht ausüben, das ihm vom türkischen Volk nicht zuvor verliehen wurde. Der Staatschef äußerte erneut scharfe Kritik an westlichen Staaten. „Der Westen hat uns nicht gezeigt, dass er gegen den Putsch ist“, sagte Erdogan. „Ihr Schweigen ist unentschuldbar.“ Am Sonntag kamen in Istanbul bei einer Großkundgebung gegen den vereitelten Militärputsch Hunderttausende Teilnehmer. Bei der „Demokratie- und Märtyrer-Versammlung“ sollte Erdogan als Hauptredner auftreten – zugesagt hatten aber auch die Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der Mitte-Links-Partei CHP und der Vorsitzende der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahceli.

Angesichts der wachsenden Kritik an der Flüchtlingsvereinbarung mit der Türkei verteidigte derweil EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Pakt mit Ankara. Die EU müsse auch mit schwierigen Nachbarn wie der Türkei zusammenarbeiten, „nicht, weil wir diese oder deren Regierungen alle besonders lieben“, sondern um menschliches Leid zu lindern, sagte Juncker dem Tagesspiegel. Die im März geschlossene Vereinbarung mit Ankara sei notwendig gewesen, weil die EU dem massenhaften Sterben von Flüchtlingen in der Ägäis nicht länger habe zuschauen können, sagte der EU-Kommissionschef. Zuvor hatte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz erklärt, dass das Abkommen wegen des harten Kurses von Erdogan gegen Kritiker gestoppt werden müsse. Der ÖVP-Politiker schlug vor, dass die EU ihre Außengrenzen besser schützen solle, anstatt sich in der Flüchtlingspolitik von Ankara abhängig zu machen.

Zwar sagte auch Juncker, dass die Flüchtlingsvereinbarung mit der Türkei nur „ein Baustein“ einer umfassenden EU-Strategie sei, zu der auch ein europäischer Grenz- und Küstenschutz gehöre. Dennoch sei es richtig gewesen, mithilfe des Flüchtlingspaktes mit der Türkei Schmugglern „mit ihrem menschenverachtenden Geschäftsmodell“ das Handwerk zu legen. Die EU setzt bei der Bekämpfung der Menschenschmuggler nicht zuletzt deshalb auf die Türkei, weil ein effektiver europäischer Küstenschutz in Griechenland noch nicht erprobt ist.

Scharfe Kritik aus Deutschland

Scharfe Kritik an den Gegenmaßnahmen Erdogans nach dem Putschversuch kommt derweil auch aus Deutschland. FDP-Chef Christian Lindner zog einen Vergleich zwischen dem Vorgehen Erdogans und dem Nationalsozialismus. „Wir erleben einen Staatsputsch von oben wie 1933 nach dem Reichstagsbrand“, sagte Lindner der „Bild am Sonntag“ mit Blick auf die Repressalien gegen mutmaßliche Sympathisanten der Putschisten. Mit der Erwähnung des Reichstagsbrandes, den die Nazis zur Durchsetzung der Alleinherrschaft nutzten, deutete Lindner an, dass der türkische Staatschef den Putschversuch inszeniert haben könnte. Allerdings glauben nicht einmal Erdogans ärgste Gegner im Parlament in Ankara an diese Verschwörungstheorie. Anders als die Nazis betreibt der Präsident derzeit auch keine Gleichschaltung. Erdogan sucht seit dem Putschversuch den Schulterschluss mit weiten Teilen der parlamentarischen Opposition, wobei er allerdings die pro-kurdische HDP außen vor lässt.

Österreichs Außenminister Kurz kündigte unterdessen ein Veto gegen das Eröffnen weiterer Kapitel in den EU-Beitrittsverhandlungen an. „Ich habe Sitz und Stimme im Außenministerrat. Dort geht es darum, ob neue Verhandlungskapitel mit der Türkei (einstimmig) eröffnet werden. Und da bin ich dagegen“, sagte er der Wiener Zeitung „Kurier“.

Während sich FDP-Chef Lindner und der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, ebenfalls für einen sofortigen Stopp der Beitrittsverhandlungen aussprachen, warnten Europaabgeordnete wie Elmar Brok (CDU) und Rebecca Harms (Grüne) vor übereilten Schritten. Brok sagte der „Welt am Sonntag“, ein sofortiges Aussetzen der Beitrittsgespräche wäre „diplomatischer Unsinn“. Allerdings sprach er sich dafür aus, der Türkei langfristig eine Anbindung wie den Status des Nicht-EU-Mitgliedes Norwegen zu gewähren.

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