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Der türkische Präsident Tayyip Erdogan verliert an Zustimmung im eigenen Land.

© REUTERS

Autokratie Türkei: Erdogan regiert nur noch mit der Brechstange

Der Demokratieabbau im Land schreitet voran und die wirtschaftliche Lage ist schlecht. Der Stern des Präsidenten sinkt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Güsten

Recep Tayyip Erdogan hat schon lange aufgehört, Menschen überzeugen zu wollen. Der türkische Präsident befiehlt, schüchtert seine Gegner ein und lässt sie einsperren. Der Entzug der Parlamentsmandate von drei Oppositionspolitikern in Ankara unterstreicht, wie sehr die Türkei inzwischen zur Autokratie geworden ist.

Erdogan weiß, dass viele Türken sein Präsidialsystem ablehnen, dass die Korruption seiner AKP die Wähler abstößt und dass selbst seine Anhänger überzeugende Antworten auf die schlechte Wirtschaftslage vermissen. Aber der Präsident und seine Regierung werben nicht mehr um Unterstützung. Sie regieren mit der Brechstange.

Teilweise speist sich der Druck auf Andersdenkende aus der Furcht Erdogans, seine Gegner könnten versuchen, ihn – wie beim versuchten Staatsstreich von 2016 – gewaltsam zu stürzen. Erdogans Vorbild, der frühere Premier Adnan Menderes, wurde nach dem ersten Militärputsch der Türkei vor 60 Jahren hingerichtet.

Der Spielraum für die Zivilgesellschaft wird enger

Heute sagt die Regierung, die Türkei stehe vielen inneren und äußeren Feinden gegenüber und müsse sich wehren. Mit diesen angeblichen Gefahren begründet Erdogan sein drakonisches Vorgehen gegen Kritiker. Kurdenpolitiker, Intellektuelle und Journalisten sitzen in Haft. Die Justiz ist der Regierung zu Diensten, Kritik wird als Landesverrat geahndet. Der Spielraum für die Zivilgesellschaft wird immer enger.

Friedliche Demonstrationen werden routinemäßig auseinandergeprügelt, europäische Regeln gelten nicht mehr. Der Kunstmäzen Osman Kavala sitzt wegen absurden Anschuldigungen seit Jahren in Haft, obwohl das Europäische Menschenrechtsgericht in Straßburg seine Freilassung angeordnet hat.

Erdogan nennt Kavala einen staatsfeindlichen Aktivisten – das wiegt schwerer als das Urteil aus Straßburg, an das die Türkei als Europaratsmitglied gebunden ist.

Kritik ehemaliger Mitstreiter

Der Demokratieabbau wirkt sich auch längst auf die Wirtschaft aus. Die Türkei verliert Direktinvestitionen aus dem Ausland. Wenn der Rechtsstaat immer weiter geschwächt werde, schwinde bei Anlegern das Vertrauen, sagt der Türkei-Berichterstatter des EU-Parlaments, Nacho Sanchez-Amor.

Trotz – oder gerade wegen – des großen Drucks sinkt Erdogans Stern bei den Türken. Die Zeiten, in denen die AKP ihren Wählern wachsenden Wohlstand garantieren konnte, sind vorbei. Erdogans Ein-Mann-System sollte mehr Effizienz und Wirtschaftswachstum bringen, hat diese Versprechen aber nicht gehalten.

Ehemalige Mitstreiter des Präsidenten treten mit eigenen Parteien an und werfen der AKP vor, ihre eigenen Grundwerte von Demokratie und Gerechtigkeit zu verraten. Erdogan antwortet mit Härte – andere Möglichkeiten sieht er offenbar nicht mehr.

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