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Verschleppte Briten: Erst die Menschen, dann die Moral

Im Fall der vor einer Woche festgesetzten britischen Marinesoldaten sind Geduld und Phantasie gefragt - kein polternder Rigorismus. Ein Kommentar von Malte Lehming

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Berlin - Wer stark ist, muss nicht Stärke demonstrieren. Diese Klugheitsregel der Diplomatie gerät oft dann in Vergessenheit, wenn eine Demokratie sich von einer Diktatur herausgefordert sieht. Doch auch in diesem Fall gilt: Vorsicht ist keine Feigheit, Leichtsinn ist kein Mut.

Iran hat 15 britische Soldaten in seiner Gewalt. Er beschuldigt sie, in seine Gewässer eingedrungen zu sein. Großbritannien bestreitet dies vehement. Beide Seiten legen "Beweise" vor, doch unabhängig und zweifelsfrei ist die Wahrheit kaum zu ermitteln. Die Indizien sprechen für die britische Version.

Wahrheit? Nebensächlich!

Nach einer Woche Geiselhaft ist die Wahrheitsfrage zur Entschärfung der Krise allerdings nebensächlich geworden. Weder wird Teheran je zugeben, die Soldaten aus erpresserischen Gründen schlicht entführt zu haben, noch wird London sich für die angebliche Verletzung der territorialen Integrität Irans entschuldigen. Der andere hat angefangen: Das Spiel, das Kinder lieben, die entweder rechthaberisch sind oder ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl haben, taugt in der Erwachsenenwelt wenig. Hier zählen Umsicht, Pragmatismus und der Wille, ein Ziel zu erreichen. In der Geiselkrise heißt das, bald die Soldaten zu befreien.

Kleine Rückblende: Im April 2001 standen sich in einem ähnlichen Konflikt die USA und China gegenüber. Recht und Moral waren klar auf Seiten Amerikas. Ein durchgeknallter chinesischer Pilot hatte mutwillig das Leben von 24 US-Soldaten riskiert, die sich über internationalem Luftraum befanden. Deren Flugzeug wäre beinahe abgestürzt und konnte nur mit Mühe auf chinesischem Gebiet notlanden. Daraufhin wurde die Besatzung elf Tage lang als Geisel genommen, das Flugzeug geplündert - und am Ende machte George W. Bush einen kleinen Kotau und bedauerte den Vorfall zutiefst.

War das Appeasement? Wurden die Tyrannen dieser Welt durch Bushs Weicheiigkeit ermuntert? Wohl kaum. Und wahrscheinlich tut heute auch Tony Blair gut daran, seine Prinzipien nicht wichtiger zu nehmen als den Erfolg seiner Diplomatie. Im UN-Sicherheitsrat hat sich London wegen des Widerstands der Russen zunächst nur halb durchgesetzt. Iran wurde nicht verurteilt, die Freilassung der Soldaten nur indirekt verlangt. Für das höchste völkerrechtliche Gremium ist dieses Ergebnis blamabel. Schließlich waren die britischen Marinesoldaten im UN-Auftrag unterwegs.

Offenkundige Propagandaoffensive

Denn einerlei, was wirklich im Schatt el-Arab geschah: Die Behandlung der 15 Briten verstößt eklatant gegen das Völkerrecht. Bis heute durften die Inhaftierten weder konsularisch betreut noch vom Internationalen Roten Kreuz besucht werden. Als Teil einer offenkundigen Propagandaoffensive präsentiert man sie im Fernsehen und verliest angebliche Bekenntnisbriefe. Wer die US-Regierung wegen Guantanamo kritisiert, darf zu den iranischen Frivolitäten nicht schweigen.

Abgeklärt, ruhig, konzentriert, geschlossen: So sollten Großbritannien und die Internationale Gemeinschaft Iran entgegentreten. Geduld und Phantasie sind nützlicher als polternder Rigorismus. Unmissverständlich muss indes signalisiert werden, dass Geiselnahme als Erpressung nicht funktioniert. Die Krise darf weder den britischen Abzug aus dem Irak beschleunigen, noch den Widerstand gegen Teherans Atompläne beeinträchtigen. Der Klügere gibt zwar nach - aber nur im Gestus, nicht in der Sache. (tso)

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