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Erster Flug seit knapp einem Jahr: Flugzeug aus Deutschland mit 81 Straftätern in Afghanistan gelandet
Sammelabschiebungen nach Afghanistan gab es vor der Machtübernahme der Taliban öfter, danach nur noch einmal. Jetzt hat wieder ein Flieger „schwere und schwerste Straftäter“ zurückgebracht.
Stand:
Der von Leipzig gestartete Abschiebeflug mit 81 Straftätern an Bord ist in der afghanischen Hauptstadt Kabul gelandet. Das bestätigte der Sprecher des Taliban-Außenministeriums, Abdul Kahar Balchi, der Deutschen Presse-Agentur.
Die Maschine von Qatar Airways war nach Angaben des Leipziger Flughafens am Morgen um 8.35 Uhr gestartet. Nach Angaben eines dpa-Fotografen waren Passagiere mit mehreren Bussen dorthin gebracht worden. Kurz vor 7.00 Uhr am Morgen stiegen die ersten ein, mindestens einer davon trug demnach eine Fußfessel. Es ist das das zweite Mal seit der Machtübernahme durch die islamistischen Taliban im August 2021, dass Deutschland afghanische Staatsangehörige in ihr Herkunftsland abschiebt.
Nach Angaben des Bundesinnenministeriums handele sich um vollziehbare Ausreisepflichtige, die strafrechtlich in Erscheinung getreten seien. Wie es für die Betroffenen in Afghanistan weitergeht, ist momentan unklar.
„Schwere und schwerste Straftäter“ abgeschoben
Bei den Afghanen handelt es sich nach Angaben von Innenminister Alexander Dobrindt um „schwere und schwerste Straftäter“. Das sagte der CSU-Politiker im ARD-„Morgenmagazin“. Für solche Abschiebungen gebe es „ein ganz berechtigtes Interesse der Bürgerinnen und Bürger.“ Die Rückführung kam seinen Angaben zufolge mithilfe des Golfemirats Katar und über „technische Kontakte“ mit Afghanistan zustande. Der Flug geht demnach direkt nach Afghanistan.
Der erste Abschiebeflug seit Antritt der schwarz-roten Regierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) startete unmittelbar vor Beginn eines Treffens von Dobrindt und mehreren EU-Kollegen auf der Zugspitze, bei dem es um eine Verschärfung der EU-Asylpolitik gehen soll.
Dies sei laut Dobrindt aber keine Absicht gewesen. „Man kann solche Termine nicht direkt planen“, sagte der CSU-Politiker vor dem Treffen mit seinen Amtskollegen auf der Zugspitze.
„Das hat ja auch einen Vorlauf von mehreren Wochen und wir sind einfach nur froh, dass es gelungen ist, den Abschiebeflug zu organisieren. Dass das heute ist, das hätte auch gestern sein können, vielleicht auch morgen, aber in den letzten Tagen hat sich in intensiven Gesprächen noch mal herauskristallisiert, dass es der heutige Tag sein wird“, betonte Dobrindt.
Das hänge sehr stark mit den Gesprächen zusammen, auch mit dem Partner Katar und anderen Beteiligten.
Ende August wurden zuletzt Straftäter abgeschoben
Ende August vergangenen Jahres waren zum letzten Mal afghanische Straftäter abgeschoben worden – mithilfe des Golfemirats Katar wurden 28 Männer ebenfalls von Leipzig aus in ihr Herkunftsland zurückgebracht. Katar hatte bereits in der Vergangenheit zwischen dem Westen und den Taliban vermittelt.
Nach Gewalttaten in Mannheim und Solingen hatte die Ampel-Regierung im vergangenen Sommer angekündigt, Abschiebungen auch nach Afghanistan wieder möglich zu machen. Es blieb bei dem einen Flug.
Nach der Neuwahl in diesem Jahr und wenige Wochen vor dem Antritt der neuen Regierung versprach der heutige Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) bei „Bild“ auf Nachfrage regelmäßige Abschiebeflüge nach Afghanistan und Syrien. Darauf könnten sich die Deutschen verlassen. Das werde man „dauerhaft und in wesentlich größeren Bereichen auch hinbekommen“.
Doch die Durchführung gestaltet sich bis heute schwierig: Deutschland unterhält zu den islamistischen Taliban in Kabul keine diplomatischen Beziehungen. Die Gruppe ist insbesondere wegen ihrer Missachtung von Menschen- und vor allem Frauenrechten international isoliert.
Kanzler Merz widersprach dem Eindruck, die Bundesregierung bereite eine förmliche Anerkennung der islamistischen Taliban vor. „Eine diplomatische Anerkennung des Taliban-Regimes steht überhaupt nicht zur Entscheidung an. So etwas kann es gar nicht geben“, sagte der CDU-Vorsitzende in seiner ersten Sommer-Pressekonferenz als Regierungschef in Berlin. Es habe lediglich sogenannte „technische Kontakte“ gegeben.
Man erkenne das Regime nicht als rechtmäßige Regierung an, Deutschland habe nur auf technischer Ebene über ein Verbindungsbüro in Katar Kontakt zu den dortigen Machthabern, hatte Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) kürzlich gesagt. „Das war es, und das ist es.“
Dobrindt will direkte Gespräche mit Afghanistan
Innenminister Dobrindt strebt an, das zu ändern. Er hatte dem „Focus“ Anfang des Monats gesagt: „Mir schwebt vor, dass wir direkt mit Afghanistan Vereinbarungen treffen, um Rückführungen zu ermöglichen. Nach wie vor braucht es Dritte, um Gespräche mit Afghanistan zu führen. Eine Dauerlösung darf das so nicht bleiben.“

© dpa/Kay Nietfeld
Am Freitag bekräftigte er nach dem Start des Abschiebeflugs, dass aus seiner Sicht Gespräche mit den Taliban nötig sind: „Wenn man auch daran denkt, dass wir in der Zukunft weiterhin Abschiebungen nach Afghanistan ermöglichen wollen, dann muss man eben auch diese Kontakte haben, muss man diese Gespräche führen. Das ist unterhalb der diplomatischen Beziehungen, aber diese Gespräche werden geführt werden müssen“, sagte er.
Kritik an Abschiebeflug
Die Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen der Vereinten Nationen lehnen die Pläne ab. Die Bedingungen vor Ort seien noch nicht für Rückführungen geeignet, sagte Arafat Jamal, der Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Kabul damals in Reaktion auf Dobrindts Aussagen.
Die Sprecherin des UN-Menschenrechtsbüros, Ravina Shamdasani, wies auf laufende Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan hin, wie etwa Hinrichtungen oder die Unterdrückung von Frauen. „Die Zeit ist reif für Solidarität mit dem afghanischen Volk“, sagte die Sprecherin von UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk.
Türk forderte demnach „einen sofortigen Stopp der Zwangsrückführung aller afghanischen Flüchtlinge und Asylsuchenden“. Dies gelte insbesondere für diejenigen, denen bei Rückkehr „Verfolgung, eine willkürliche Festnahme oder Folter droht“. Solche Abschiebungen verstießen gegen „den völkerrechtlichen Grundsatz der Nichtzurückweisung“, der auch für Straftäter gelte.
Die UN-Sprecherin verwies außerdem auf die „katastrophale“ humanitäre Lage in Afghanistan, wo 70 Prozent der Menschen in Armut lebten. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt und von jahrzehntelangem Krieg gezeichnet. Im Sommer 2021 kehrten die Taliban inmitten des Abzugs westlicher Streitkräfte an die Macht zurück, viele Staaten und Organisationen fuhren ihre Hilfen für das Land zurück.
Kritik kam auch von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International und der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl. Niemand verdiene das, „auch nicht Straftäter“, erklärte die Amnesty-Generalsekretärin in Deutschland, Julia Duchrow. „Menschenrechte gelten entweder für alle Menschen, oder für niemanden.“ Pro Asyl sprach von einem „eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht“. Die Europäische Menschenrechtskonvention verbiete Abschiebungen, wenn Folter oder unmenschliche Behandlung drohten.
Das ist eine massive Aufwertung von islamistischem Terror.
Grünen-Politiker Anton Hofreiter
Auch Grünen-Politiker Anton Hofreiter hinterfragte die Abschiebungen. „In Afghanistan regieren islamistische Terroristen“, sagte er im ARD-„Morgenmagazin“ mit Blick auf die Taliban. Das hieße, man müsse sich für eine Umsetzung ins Benehmen setzen mit islamistischen Terroristen. „Das ist eine massive Aufwertung von islamistischem Terror“, so Hofreiter.
Er hinterfragte mit Blick auf Innenminister Dobrindt zugleich, ob das „ausgerechnet ein konservativer Innenminister machen will“. Auf die Frage, ob man nicht Straftäter des Landes verweisen solle, auch wenn es nach Afghanistan sei, sagte Hofreiter, man könne man ja kaum sicherer sein, als wenn jemand im Gefängnis sitze. Man wisse nicht, was die Taliban mit einem abgeschobenen islamistischen Terroristen machten – am Ende fiele denen nichts Besseres ein, als diesen wieder einzusetzen.
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger nannte die Abschiebung im RND ein „verheerendes Signal“. Deutschland arbeite offenbar mit den Taliban zusammen, „einem Regime, gegen dessen führende Köpfe der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle erlassen hat“. Das sei keines Rechtsstaats würdig, „das ist Menschenverachtung mit Ansage“.
Ende Mai hielten sich einer Regierungsantwort zufolge 446.287 Afghaninnen und Afghanen in Deutschland auf. Unter ihnen waren 11.423 Ausreisepflichtige, davon 9.602 mit und 1.821 ohne Duldung, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ Anfang Juli mitgeteilt hatte.
Eine Duldung wird ausgestellt, wenn die Abschiebung eines ausreisepflichtigen Ausländers vorübergehend ausgesetzt ist. Das kann aus verschiedenen Gründen erfolgen, etwa zur Vermeidung der Trennung von Familien, aufgrund rechtlicher oder praktischer Hindernisse – zum Beispiel, weil Reisepapiere fehlen oder der Betroffene krank ist – oder wenn jemand eine Ausbildung aufgenommen hat. (dpa/AFP)
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