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Kann sich über zu wenig Ärger nicht beschweren: Ursula von der Leyen. Jetzt hat sich auch noch eine Klage des EU-Parlaments auf dem Tisch.

© Julien Warnand/EPA Pool/AP/dpa

EU-Parlament verklagt EU-Kommission: Ein historischer Beschluss, den kaum jemand mitbekam

Die EU-Kommission wendet das Rechtsstaatlichkeitsprinzip gegen Ungarn und Polen nicht an. Rechtsbruch!, findet das EU-Parlament und klagt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Schumann

Im EU-Parlament geht es zumeist eher nüchtern zu. Die Suche nach mehrheitsfähigen Kompromissen zwischen den vielen Fraktionen der europäischen Vielfalt lässt wenig Raum für große Gesten. Doch am vergangenen Donnerstag war das anders. Begleitet von einem Feuerwerk an starken Argumenten fällten Europas Volksvertreter einen Beschluss, der das Prädikat historisch verdient.

Mit 506 von 684 Stimmen beschlossen sie, die von CDU-Star Ursula von der Leyen geführte EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Untätigkeit zu verklagen, und das mit einer spektakulären Begründung: Die Kommissare, so sehen es die Abgeordneten fast aller Fraktionen, brechen geltendes Recht, weil sie sich weigern, gegen die Demontage des Rechtsstaats in Ungarn und Polen vorzugehen.

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Der Vorwurf baut auf eine klare Rechtsgrundlage. Seit 1. Januar 2021 gilt die „Verordnung über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union“. Sie verpflichtet die Kommission, für Mitgliedsstaaten, die rechtsstaatliche Prinzipien missachten, die Zahlungen aus dem Haushalt zu stoppen und den Bescheid dem Rat der Regierungen zur Bestätigung vorzulegen. Dafür reicht dann ein Mehrheitsbeschluss; Polen und Ungarn könnten sich nicht mehr gegenseitig mit einem Veto schützen.

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Der Orban-Clan veruntreut EU-Mittel, das ist bekannt

Wie dringend das eigentlich wäre, illustrierte die ungarische Abgeordnete Katalin Cseh von den Liberalen. Die EU-Behörde gegen Haushaltsbetrug habe nachgewiesen, dass der Schwiegersohn von Ungarns Autokrat Victor Orban sich mit EU-Mitteln bereichert habe, erklärte sie. Das Gleiche gelte für Lorinc Meszaros, den reichsten Mann des Landes und Orbans Freund seit Kindheitstagen, dessen Firmen mit einer Milliarde Euro an EU-Subventionen gefüttert worden seien.

„Wenn die Kommissionspräsidentin direkt gewählt würde, dann müsste sie Auge in Auge mit den Wählern erklären, warum sie meint, da nicht handeln zu können“, zürnte Cseh.

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Aber von der Leyen ist eben nur von den nationalen Regierungen ernannt. Und die haben ihr aufgetragen, stillzuhalten. Denn die EU-Regierungschefs hatten sich von Orban und Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erpressen lassen. Nachdem die beiden mit einem Veto gegen das neue EU-Budget drohten, versicherte die übrigen Teilnehmer der Gipfelrunde ihnen kurzerhand, das Gesetz zum Schutz des Rechtsstaats werde nicht angewandt, solange der EU-Gerichtshof nicht über deren Klage dagegen entschieden habe. Folgsam ließ von der Leyen daraufhin die fälligen Sanktionen auf die lange Bank schieben.

Das aber verstößt selbst gegen die Rechtsstaatlichkeit. Schließlich ist nirgendwo vorgesehen, dass die nationalen Regierungschefs mal eben per Kuhhandel ein geltendes Gesetz außer Kraft setzen dürfen. Und die Kommission ist verpflichtet, jede gültige Verordnung anzuwenden, ganz gleich was die Taktgeber aus den Hauptstädten sich wünschen. Das jetzt vom Parlament angeschobene Verfahren wird darum gleich doppelt Nutzen stiften. Nicht nur werden die Totengräber des Rechtsstaats erfahren, dass ihr Autokratengehabe ihre Länder viel Geld und damit womöglich sie selbst auch viele Wählerstimmen kostet. Zugleich wird es auch die Regierungsfürsten im Europäischen Rat in die Schranken weisen. Wer den Rechtsstaat verteidigen will, darf sich nicht anmaßen, Gesetze nach Gutdünken auf unbestimmte Zeit auszusetzen – auch nicht in der EU.

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