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Heiß diskutiert. Die Kanzlerin und ihr konservativer britischer Kollege David Cameron am Freitag in Brüssel. Foto: Eric Feferberg/AFP

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EU-Gipfel: Euro-Rettung: Vom Tisch auf die lange Bank geschoben

Den Euro-Rettungsschirm II hat Merkel durchgesetzt. Doch einen Stimmrechtsentzug für Dauerdefizitsünder wird es nicht geben.

Es ist kurz nach ein Uhr in der Nacht zum Freitag, als ein Mitglied der deutschen Delegation plötzlich ein Tänzchen wagt. Ob aus Freude über den aus Berliner Sicht so erfolgreichen EU-Gipfel oder nur aus Bewegungsdrang, da er mit mehreren Dutzend Regierungsbeamten und Journalisten schon seit Stunden auf das Erscheinen der Bundeskanzlerin wartete, ist nicht überliefert. Wenige Minuten später jedenfalls trudelte im mondänen Hotel Amigo die ersehnte SMS ein: Die Sitzung ist endlich beendet, Angela Merkel kommt gleich, sie muss nur noch schnell dem ARD-Morgenmagazin ein kurzes Interview geben. „Das heißt“, mutmaßte da ein Regierungsbeamter, „dass sie etwas zu verkünden hat.“

Tatsächlich hatten sich die 27 EU- Staats- und Regierungschefs am frühen Morgen auf ein weitreichendes Paket verständigt, das weitgehend Angela Merkels Handschrift trägt. Im Mittelpunkt: ein dauerhafter Rettungsschirm, der im Notfall auch nach dem Jahr 2013 bankrotten Euro-Staaten helfen könnte. Dazu haben sich die Gipfelteilnehmer einstimmig bekannt. Endgültig beschlossen werden soll er jedoch erst auf dem Gipfel im Dezember, weil Merkels Kollegen erst Details sehen wollen. „Es geht jetzt nicht mehr um das Ob“, so die Bundeskanzlerin, „sondern um das Wie.“

Vor allem die Frage, wie genau der Privatsektor im Notfall zur Verantwortung gezogen werden kann, muss geklärt werden. Mit dieser Aufgabe wurden der EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und die Europäische Kommission betraut. Einige konkrete Vorgaben bekamen sie am Freitag bereits: Neben der Bankenhaftung sind das eine erneute Beteiligung des Internationalen Währungsfonds, wie das Berlin bereits bei der Griechenlandhilfe und dem ersten Rettungsschirm durchgesetzt hatte. Mit einer möglichen Kreditvergabe verbunden wären erneut auch strikte Sparauflagen und Reformprogramme, die Brüssel und Washington verordnen würden.

Den Mitgliedstaaten, die für eine einfache Verlängerung des im Mai über Nacht gezimmerten 750-Milliarden-EuroSchutzschilds plädierten, setzte Merkel in der Ratssitzung die Erfordernisse des deutschen Grundgesetzes auseinander: Als einmalige „Notmaßnahme“ habe das Bundesverfassungsgericht den deutschen Bürgschaftsanteil von gut 140 Milliarden Euro wohl akzeptiert – mehr aber nicht. Einem österreichischen Diplomaten zufolge drohte sie den Kollegen, die die aus ihrer Sicht für eine Neuauflage zwingende Vertragsänderung zuerst nicht mittragen wollten. Einige am Tisch würden sich noch wundern, was ihnen blühe, wenn sich der größte Zahler Deutschland nicht an dem Krisenmechanismus beteilige. Und so setzte sich einem belgischen Diplomaten zufolge im Laufe der Nacht die Erkenntnis durch, dass es ohne Alternative sei, Merkel zu folgen: „Ohne Deutschland hätten wir ein noch viel größeres Problem.“

Und so soll nun im Dezember endgültig eine „Vertragsänderung light“ beschlossen werden. An einer Stelle soll dann eingefügt werden, dass finanzielle Hilfen an einen Staat möglich sind, wenn durch dessen Lage „die Euro-Zone als Ganzes bedroht ist“. Bisher ist ein Beistand nur gegenüber Nicht-Euro-Ländern möglich oder bei „Naturkatastrophen oder nicht beeinflussbaren Ereignissen“. Die geplanten Veränderungen im Vertragstext sollen so gering ausfallen, dass auch der tendenziell eurokritische Premier David Cameron kein Referendum darüber abhalten will. Das kündigte er nach Ende des Gipfels an. Es deutet sich an, dass in der EU einzig die Iren befragt werden könnten – ausgerechnet in dem Land, das angesichts seines exorbitanten Defizits als Erstes Hilfe brauchen könnte.

Die Kanzlerin musste jedoch in einem Punkt zurückstecken. Den von ihr und Sarkozy geforderten Stimmrechtsentzug für unverbesserliche Defizitsünder wird es – zumindest erst einmal – nicht geben. „Das Thema ist vom Tisch auf die lange Bank verschoben worden“, sagte Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker, im Vorfeld einer der schärfsten Kritiker der Maßnahme. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte, dass das Thema nicht „Teil der Überarbeitung des EU-Vertrages“ sein werde.

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