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Der frühere Chef des Bundesnachrichtendienstes erwartet eine Eskalation des russischen Angriffs auf die Ukraine.

© Imago/ITAR-TASS

Ex-BND-Präsident Hanning: „Russischen Angriff auf Nato-Territorium halte ich für ausgeschlossen“

Der frühere BND-Chef Hanning prophezeit einen noch härteren Krieg Russlands in der Ukraine. Auf ukrainischer Seite seien hohe Opferzahlen zu befürchten.

Von Frank Jansen

August Hanning (76) war von 1988 bis 2005 Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND). Er wechselte dann ins Bundesinnenministerium und war dort bis 2009 Staatssekretär.

Herr Hanning, hat Sie der russische Angriff auf die Ukraine überrascht?
Ja und nein. Einerseits war ich über die Zusicherungen Präsident Putins gegenüber dem deutschen Bundeskanzler und dem französischen Präsidenten erleichtert, dass Russland keine größeren Militäraktionen plane. Andererseits konnte man die russischen militärischen Kräftepotenziale an den ukrainischen Grenzen analysieren und es gab die offiziellen Erklärungen aus den USA, dass ein russischer Angriff geplant sei.

Im Nachrichtendienst lernt man, dass man weniger auf Erklärungen als auf Potenziale schauen muss. Dies hat sich auch in diesem Fall leider bewahrheitet. Putin hat mit dieser Entscheidung Russland geschadet. Der Krieg mit der Ukraine wird seine weitere Amtszeit als dunkler Schatten begleiten.

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Hat die Nato die Paranoia von Putin unterschätzt, Russlands Sicherheit werde vom Westen bedroht?
Die Erweiterung der Nato bis an die russischen Grenzen berührt sicher auch russische Sicherheitsinteressen. Die Nato versteht sich allerdings als reines Verteidigungsbündnis. Die Älteren von uns erinnern sich noch an die Kuba-Krise im Oktober 1962, in der sich die USA gegen eine russische Militärpräsenz in ihrer Nachbarschaft wehrten.

Vielleicht wären größere Anstrengungen auf westlicher Seite erforderlich gewesen, mit Russland über die dortigen Sorgen - mögen sie berechtigt oder auch unberechtigt sein - zu sprechen. Aber wie immer man diese Frage bewertet, sie ist keine Rechtfertigung für einen Krieg gegen die Ukraine.

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Die russischen Truppen sollten offenbar wie eine Dampfwalze die Ukraine überrollen. Warum funktioniert das zumindest bislang nicht? Hat sich Putin militärisch verspekuliert?
Wir kennen nicht die russischen Pläne. Aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass der bisherige Kriegsverlauf so in den russischen Einsatzplänen vorgesehen war. Welche Probleme auch immer zwischen Russland und der Ukraine bestanden haben, dieser militärische Angriff auf die Ukraine wird diese Probleme nicht lösen, sondern neue Probleme schaffen.

Große Sorgen. Der frühere BND-Präsident August Hanning befürchtet, dass die Zahl der Opfer im Ukraine-Krieg noch stark steigen wird.
Große Sorgen. Der frühere BND-Präsident August Hanning befürchtet, dass die Zahl der Opfer im Ukraine-Krieg noch stark steigen wird.

© imago/Hoffmann

Wie wird Putin reagieren, wenn die Ukraine weiterhin hartnäckig Widerstand leistet?
Ich fürchte, dass Russland kurzfristig den Militäreinsatz intensivieren wird, wir deshalb auf ukrainischer Seite hohe Opferzahlen zu befürchten haben und Europa eine große Zahl von Kriegsflüchtlingen aufnehmen muss.

Wagen Sie eine Prognose, wie lange der Krieg dauern wird?
Eine seriöse Prognose ist in Anbetracht des bisherigen Kriegsverlaufs nicht möglich. Ich hoffe auf ein baldiges Ende.

Putin hat am Sonntag die „Abschreckungskräfte“ der russischen Armee, zu denen auch die Nuklearwaffen zählen, in „besondere Kampfbereitschaft“ versetzt. Droht jetzt ein Atomkrieg?
Ich betrachte diese Ankündigung Putins als ein Element der psychologischen Kriegführung. Bei dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine handelt es sich um einen regionalen Konflikt und die Nato hat deutlich erklärt, dass sie die Ukraine militärisch nicht unterstützt. Einen russischen Angriff auf Nato-Territorium halte ich für ausgeschlossen.

Was werden die Sanktionen des Westens gegen Russland und die Waffenlieferungen an die Ukraine bewirken?
Die Sanktionen des Westens gegen Russland und die Waffenlieferungen des Westens bestärken natürlich den Widerstand der Ukraine. Ich habe allerdings Zweifel, dass Waffenlieferungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch einen großen Einfluss auf das Kriegsgeschehen haben werden.

Die Sanktionen sind in erster Linie eine Belastung für Russland. Aber sie haben auch nachteilige Auswirkungen auf die ganze internationale Gemeinschaft und in Sonderheit auch auf uns Deutsche. Wir können nur inständig hoffen, dass es in absehbarer Zeit gelingt, wieder normale Beziehungen zu erreichen.

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Wer könnte jetzt im Konflikt zwischen Russland auf der einen Seite und der Ukraine sowie dem Westen auf der anderen noch vermitteln? China vielleicht?
Eine Lösung ist nur in direkten Gesprächen zwischen den Konfliktparteien erreichbar. Ich glaube nicht, dass dafür ein Vermittler erforderlich ist. Falls dies erforderlich sein sollte, denke ich in erster Linie an die US-Regierung. Erste Gespräche zwischen Russland und der Ukraine haben ja bereits begonnen.

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Ich teile zwar die Einschätzung, dass die Erfolgsaussichten zurzeit nicht sehr hoch sind. Aber je länger und verlustreicher der Konflikt andauert, umso mehr wird der Druck auf beiden Seiten steigen, zumindest einen Waffenstillstand als Voraussetzung für wirkliche Friedensgespräche zu erreichen.

Sie sind immer für gute Beziehungen zu Russland eingetreten. Ist da noch was zu retten?
Wie viele meiner Freunde und Bekannten habe ich mich stets für gute Beziehungen mit Russland eingesetzt. Deshalb verfolge ich die gegenwärtige Entwicklung mit großer Besorgnis und auch tiefer Trauer. Wir sind Zeugen einer großen Tragödie in Europa, für die Russland die Verantwortung trägt.

Für unsere Außen- und Sicherheitspolitik bedeutet die Entwicklung eine Zeitenwende. Die Nachkriegszeit ist endgültig beendet. Russland ist und bleibt aber unser Nachbar.

Daran gilt es auch in der gegenwärtig aufgeheizten Stimmung zu erinnern. Wir Deutschen sollten trotz allen Ärgers und der großen Enttäuschung über den Krieg zwischen Russland und der Ukraine die Tür für Dialoge mit Russland nicht schließen. Es gilt, einen Ausweg aus der schwierigen Situation zu finden.

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