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Politik: Feuer von den Freunden

In der Türkei sind US-Raketen abgestürzt. Die Angst wächst

Die Dorfbewohner hatten seit dem frühen Morgen gewartet. Der Weiler Dagyani östlich der Stadt Sanliurfa im türkischen Kurdengebiet erhält schließlich nicht jeden Tag Besuch von amerikanischen Militärexperten. Doch als die Jeeps der Amerikaner in der Nähe des Dorfes anrollten, gab es keine freundliche Begrüßung, sondern die blanke Wut. Mit Knüppeln, Steinen und Eiern gingen die Bauern auf die vier Fahrzeuge los. Scheiben gingen zu Bruch, die Fahrer der Amerikaner gaben unter den Schmährufen der Türken Gas, türkische Gendarmen mussten die Demonstranten zurückhalten. In einem Feld bei Dagyani war ein amerikanischer Tomahawk-Marschflugkörper eingeschlagen, der eigentlich für Irak bestimmt war. Die Bauern in der Gegend fürchten um ihr Leben – denn es war der dritte Vorfall dieser Art innerhalb weniger Tage.

„Unsere Kinder können nicht mehr schlafen", rief ein empörter Bauer. Jede Nacht werden die Menschen in der Gegend vom lauten Dröhnen der alliierten Bomberverbände wach gehalten. Hinzu kommt die Angst, dass eine Rakete in ihrem Dorf detonieren könnte. In Dagyani war diesmal alles gut gegangen, der Marschflugkörper explodierte nicht, sondern zerbrach lediglich in vier große und mehrere kleine Teile. Als die US-Experten die Trümmer eingesammelt hatten, verscheuchten die türkischen Gendarmen die aufgebrachten Bauern und sorgten dafür, dass sie nicht noch einmal an die Fahrzeuge herankamen.

Vor dem Raketeneinschlag bei Dagyani waren in den vergangenen Tagen zwei andere Geschosse der Amerikaner weiter westlich bei Birecik und in Viransehir weiter östlich niedergegangen, ebenfalls ohne Detonation. In Birecik zahlten die US-Behörden fünf Bauern insgesamt 3600 Dollar für die von der Rakete angerichteten Flurschäden. Offenbar liegen Birecik, Dagyani und Viransehir unter einem Luftkorridor, der von den US-Militärmaschinen und Raketen bei Flügen nach Irak benutzt wird. Auch Marschflugkörper, die von Schiffen im Mittelmeer abgefeuert werden, durchquerten in den vergangenen Tagen auf ihrem Weg nach Bagdad den türkischen Luftraum. Wegen der drei Raketen-Unfälle hat die Regierung aber inzwischen den Himmel über der Türkei vorübergehend für die US-Marschflugkörper gesperrt.

Dabei hatte Ankara erst nach wochenlangen Verhandlungen rechtzeitig zu Beginn des Irak-Krieges den Luftraum des Landes für die Amerikaner und Briten geöffnet und damit den Nato-Partnern das absolute Mindestmaß an Unterstützung zukommen lassen. Seit Tagen überfliegen deshalb Bomber, Kampfjets und Hubschrauber das türkische Gebiet in der Nähe der irakischen Grenze. Zudem verlegen die USA mit Hubschraubern und Transportflugzeugen die ersten Soldaten, Waffen und Ausrüstungsgegenstände über die Türkei in den Norden Iraks, um die so genannte Nordfront gegen Saddam Hussein aufzubauen. Den amerikanischen Wunsch nach Stationierung von Bodentruppen für den Irak-Krieg hatte das türkische Parlament sehr zum Ärger Washingtons am 1. März abgelehnt.

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