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Euro-Banknoten liegen auf einem Tisch. (Symbolbild)

© dpa/Boris Roessler

Update

Finanzielle Lage schlimmer als angenommen: Der Pflegeversicherung droht offenbar im Februar die Zahlungsunfähigkeit

Um die gesetzliche Pflegeversicherung vor einer Pleite zu retten, müsste der Beitragssatz offenbar noch stärker steigen als geplant. Die gesetzlichen Krankenkassen und Sozialverbände fordern sofortige Maßnahmen.

Stand:

Die finanzielle Lage der gesetzlichen Pflegeversicherung ist einem Medienbericht zufolge deutlich schlechter als bislang öffentlich bekannt. Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) unter Berufung auf Koalitionskreise berichtete, droht nach aktueller Einschätzung der Bundesregierung ohne ein Eingreifen bereits im kommenden Februar eine Zahlungsunfähigkeit.

Der Vorsitzende des Sozialausschusses des Bundestags, Bernd Rützel (SPD), wies die Spekulationen über eine drohende Zahlungsunfähigkeit in der Pflegeversicherung in der „Augsburger Allgemeinen“ als weit übertrieben zurück.

„Die Lage ist nicht dramatisch“, sagte der SPD-Sozialexperte der Zeitung. „Anders als der Bericht insinuiert, steht die Pflegeversicherung nicht vor der Pleite.“ Dennoch „ist es aber so, dass die Pflegekasse mehr Geld braucht.“ Diese Entwicklung sei allerdings erwartbar gewesen.

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„Es ist ja unser Ziel gewesen, dass die Pflegerinnen und Pfleger besser bezahlt werden und das kostet nun Geld“, sagte Rützel der „Augsburger Allgemeinen“. „Und weil wir eine älter werdende Gesellschaft sind, müssen wir mehr Geld für die Pflege aufwenden“, fügte er hinzu. „Ich denke, dass die Leute solidarisch sind, weil fast jeder Angehörige hat, die auf Hilfe angewiesen sind.“

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Lauterbach: „Pflegeversicherung droht keine Insolvenz“

Auch aus dem Gesundheitsressort gibt es keine alarmistischen Töne: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) machte am Nachmittag deutlich: „Die Pflegeversicherung ist nicht insolvent, ihr droht auch nicht die Insolvenz.

Lauterbach wird allerdings nach Angaben eines Ministeriumssprechers in Kürze ein Konzept für die in großen finanziellen Schwierigkeiten steckende Pflegeversicherung vorlegen.

Dass die Pflegeversicherung sowohl kurzfristig wie auch strukturell Schwierigkeiten habe, habe der Gesundheitsminister mehrfach in der jüngsten Vergangenheit betont. „Das hat im Wesentlichen drei Gründe: Mit der jüngsten Pflegereform haben wir die Pflegebedürftigen in Heimen erheblich entlastet, Pflegekräfte bekommen höhere Löhne, und es gibt mehr Pflegebedürftige als angenommen.“

Lauterbach hatte mit Blick auf die angespannte Finanzlage eine weitere Pflegereform angekündigt und Ende August im „Stern“ für 2025 auch weitere Beitragssteigerungen in der Kranken- und Pflegeversicherung angedeutet. Eine erste Reform hatte die Koalition bereits umgesetzt.

Sie brachte Entlastungen für Pflegebedürftige bei Eigenanteilen, aber auch einen höheren Beitrag: Für Menschen ohne Kinder stieg er Mitte 2023 auf 4 Prozent und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent. Familien mit mindestens zwei Kindern zahlen – bezogen auf den Arbeitnehmeranteil – nun weniger als zuvor.

Sozialbeiträge könnten steigen wie seit 20 Jahren nicht

Laut dem Bericht des RND reicht die von den Krankenkassen bisher prognostizierte Erhöhung des Beitragssatzes um 0,2 Prozentpunkte nicht aus, um die Pflegeversicherung vor einer Pleite zu bewahren. In der Regierung werde vielmehr von einem Bedarf in Höhe von 0,25 bis 0,3 Prozentpunkten ausgegangen, hieß es.

Als Begründung wird demnach auf eine längere Phase der Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2025 verwiesen. Deshalb müsse die Erhöhung so ausfallen, dass das Geld mindestens bis zum Frühjahr 2026 ausreiche.

Eine Beitragserhöhung von 0,3 Punkten für die Pflegeversicherung käme laut dem RND-Bericht noch zu dem in der Krankenversicherung erwarteten Plus von 0,7 Prozentpunkten hinzu. Damit könnten die Sozialbeiträge zum Jahresanfang 2025 so stark steigen wie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr.

In diese Bürgerversicherung müssen alle einzahlen - auch Privatversicherte wie Selbstständige und Verbeamtete

Michaela Engelmeier, SoVD-Vorsitzende

Wagenknecht fordert einen Beitragserhöhungsstopp

BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht hat einen Beitragserhöhungstopp für die Versicherten gefordert und die Regierung scharf kritisiert. „Die Pflegeversicherung kratzt nicht an der Insolvenz, weil die Beiträge von Arbeitnehmern und Rentnern unzureichend sind, sondern weil die Bundesregierung ihren Pflichten nicht nachkommt“, sagte sie den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.

„Deutlich über 1000 Euro Mehrbelastung für Durchschnittsverdiener ab Januar durch höhere Sozialbeiträge? Dazu darf es nicht kommen. Wir fordern ein Beitragserhöhungsstopp: Keinen Cent mehr aus dem Portemonnaie von Normalverdienern und Rentnern!“ Wagenknecht kritisierte die Belastung der Pflegeversicherung durch die Kosten aus der Corona-Pandemie: „Auf mehr als fünf Milliarden Euro Sonderausgaben aus der Corona-Pandemie sitzt die Pflegeversicherung. Ohne diese horrende Pandemie-Last gäbe es die Beitragsdiskussion nicht.“

Die Bundesregierung würde „die Beitragszahler als Melkkühe einer undurchdachten Finanzpolitik“ verstehen, so Wagenknecht weiter. „Wir haben Oktober: Dass Gesundheitsminister Lauterbach jetzt erst ein Finanzkonzept für 2025 erarbeiten will, zeigt, wie unseriös die Regierung arbeitet.“

Warnung aus der CDU: „Kollaps der Pflegeversicherung droht Realität zu werden“

Die Union hat der Bundesregierung vorgeworfen, für die prekäre finanzielle Lage der Pflegeversicherung verantwortlich zu sein. „Die Bundesregierung fährt die Pflegeversicherung seit bald drei Jahren durch Nichtstun mit Ansage gegen die Wand“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Tino Sorge (CDU), dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Jetzt räche sich, dass die Ampel dem Thema Pflege keine echte Priorität geschenkt habe. „Es drohen weitere Beitragssprünge für die Versicherten, die Stabilitätsgrenze von 40 Prozent ist längst Makulatur geworden“, betonte er mit Blick auf die Höhe der Lohnnebenkosten.

„Viel schlimmer noch, ein Kollaps der Pflegeversicherung droht Realität zu werden“, warnte der CDU-Politiker. Nun laufe der Ampelregierung jedoch die Zeit davon. „Wir brauchen einen Finanzierungsmix für die Pflegeversicherung, der neben Steuermitteln, öffentlicher und betrieblicher Vorsorge auch Elemente der Eigenvorsorge beinhaltet“, forderte der Gesundheitsexperte.

Krankenkassen und Sozialverbände fordern Soforthilfe

Die gesetzlichen Krankenkassen und die Sozialverbände haben sofortige Maßnahmen von der Bundesregierung gefordert. „Die Finanzsituation der sozialen Pflegeversicherung ist schlecht, und das kann niemanden wirklich überraschen“, erklärte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, am Montag in Berlin. „Seit vielen Monaten wird von allen Seiten davor gewarnt, dass die Beitragseinnahmen der Pflegeversicherung nicht mit den Ausgaben Schritt halten können.“

Ohne eine Reform der Pflegeversicherung müssten die Beitragssätze zum 1. Januar 2025 um „mindestens 0,25 Prozentpunkte“ angehoben werden, um die Zahlungsfähigkeit zu sichern, erklärte Pfeiffer. Sie forderte „zwei Sofortmaßnahmen zur kurzfristigen Stabilisierung der Pflegeversicherung“, die für den Bund allerdings mit Milliardenkosten verbunden wären. Eine solche Unterstützung durch den Bund würde aber Zeit schaffen, „um die Pflegeversicherung solide zu reformieren“.

Zum einen müsse der Bund für die rund 5,3 Milliarden Euro Sonderausgaben der Pflegeversicherung aus Coronazeiten aufkommen, forderte Pfeiffer. Zum anderen müsse die Pflegeversicherung von der Übernahme der Rentenbeiträge für pflegende Angehörige entlastet werden. Dieser Posten schlage allein in diesem Jahr mit vier Milliarden Euro zu Buche, Tendenz steigend. „Dies ist keine Aufgabe, die aus Beitragsmitteln, sondern eine staatliche Aufgabe, die aus Bundesmitteln zu finanzieren ist“ mahnte Pfeiffer.

Auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) sprach sich für eine umfassende Reform aus. „Wir brauchen eine Pflegevollversicherung, die alle Kosten abdeckt und die Pflegebedürftigen spürbar entlastet“, sagte SoVD-Vorsitzende Michaela Engelmeier den Funke-Zeitungen. Sie sprach sich für eine breitere Beitragsgrundlage aus. „In diese Bürgerversicherung müssen alle einzahlen - auch Privatversicherte wie Selbstständige und Verbeamtete.“

Der Wirtschaftsweise Martin Werding sagte den Funke-Zeitungen, die Politik habe in den vergangenen Jahren viel getan, was die Leistungen erhöht habe. „Wie all das unter den Bedingungen der fortschreitenden demografischen Alterung finanziert werden kann, wurde dabei nie wirklich diskutiert“, sagte Werding.

Maßnahmen zum kurzfristigen Gegensteuern sehe er nicht. „Vielmehr müssten die Beiträge zur Pflegeversicherung sogar noch stärker steigen, wenn alle derzeit bestehenden Ansprüche, insbesondere auf Unterstützung häuslicher Pflege, wirklich genutzt würden“, warnte Werding. (AFP, dpa)

Korrekturhinweis: Die Erhöhung muss so ausfallen, dass das Geld mindestens bis Frühjahr 2026 reicht, nicht 2025. Das RND hat seine Angaben inzwischen korrigiert.

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