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Die Nationalversammlung.

© dpa

Frankreich: Nationalversammlung stimmt für umstrittene Verfassungsreform

Die Franzosen wollen auf die Bedrohung durch den Terrorismus reagieren. Doch nun zerreibt sich die Politik an der Frage, ob Terroristen die Staatsbürgerschaft aberkannt werden soll.

Nach heftigen Debatten hat Frankreichs Nationalversammlung einer Verfassungsänderung im Zeichen des Anti-Terror-Kampfes zugestimmt. 317 Abgeordnete votierten am Mittwoch in erster Lesung mit Ja, 199 waren dagegen, es gab 51 Enthaltungen. Nächster Schritt ist die Beratung im Senat. Die Reform soll die Möglichkeit in der Verfassung verankern, verurteilten Terroristen die französische Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Dies ist unter anderem beim linken Flügel der regierenden Sozialisten heftig umstritten.
Bereits am Montagabend hatte die Nationalversammlung den ersten Artikel des Gesetzes beschlossen, mit dem die Regeln für den Ausnahmezustand in die Verfassung von 1958 aufgenommen werden sollen. Künftig soll er vom Ministerrat beschlossen und nach vier Monaten vom Parlament verlängert werden können.

Nach einer Zwischenbilanz der Regierung wurden in den vergangenen drei Monaten nach den Attentaten vom 13. November, in denen der Ausnahmezustand auf Grund eines Gesetzes derzeit bis Ende Mai gilt, bei mehr als 3000 Durchsuchungen 560 Waffen gefunden. Gegen 407 Verdächtige wurden Hausarreste verhängt, gegen 571 wurden Untersuchungsverfahren eröffnet – aber nur vier davon betrafen Terrorverdächtige.

Die Beratungen über den zweiten Artikel, der nach dem Willen von Staatspräsident François Hollande die Möglichkeit vorsieht, verurteilten Terroristen die französische Staatsbürgerschaft abzuerkennen, begannen am Dienstagnachmittag. Während der erste Artikel mit 103 gegen 26 Stimmen eine klare Mehrheit erhielt, war dieser Passus bis zuletzt hoch umstritten: Sowohl aus dem linken Regierungslager als auch von der rechtsbürgerlichen Opposition gab es zahlreiche Bedenken.

Die Abgeordneten müssen am Mittwoch noch über die Reform als Ganzes abstimmen, bevor sich der Senat damit befassen kann. Wirksam werden kann die Verfassungsänderung nur, wenn der Senat dem Gesetz in dem von der Nationalversammlung beschlossenen Wortlaut ohne Änderung zustimmt und es anschließend von beiden als Kongress in Versailles versammelten Kammern des Parlaments mit drei Fünftel aller Stimmen der Abgeordneten und Senatoren verabschiedet wird. Angesichts der Widerstände vor allem in den Reihen der konservativen Opposition, die im Senat die Mehrheit stellt, ist unklar, ob der Präsident den Kongress überhaupt nach Versailles einberuft.

Mehrfach umgeschrieben

Hollande hatte die Initiative zur Verfassungsänderung drei Tage nach den Attentaten im November in einer feierlichen Sondersitzung des Parlaments in Versailles ergriffen und war dafür von den Abgeordneten und Senatoren stehend mit Applaus bedacht worden. Gegen die Aberkennung der französischen Staatsbürgerschaft, die nach Hollandes Vorstellungen für Franzosen mit einer zweiten Staatsbürgerschaft infrage käme, regte sich jedoch bald Widerstand.

Auch die Justizministerin der Linken Juliane Taubira lehnte die Unterscheidung zwischen Franzosen mit einer und Franzosen mit einer zweiten Staatsbürgerschaft in dem geplanten Verfassungsartikel aus Gründen des Diskriminierungsverbots ab. Aus Protest dagegen schied sie aus ihrem Amt aus. Der ehemalige sozialistische Justizminister Robert Badinter erklärte dagegen, für das Vorhaben sei ein einfaches Gesetz völlig ausreichend. Der Chef der oppositionellen Republikaner, der frühere Präsident Nicolas Sarkozy, forderte weitergehend einen Entzug der Staatsbürgerschaft auch für andere als terroristische Gewaltverbrechen.

In Sorge um fehlende Stimmen für das Vorhaben wurde der Gesetzesentwurf mehrmals umgeschrieben. Zum Schluss war darin deshalb nur noch von „Franzosen“ die Rede, die die Staatsbürgerschaft aberkannt bekommen könnten. Bei der Vorlage im Parlament durch Premierminister Manuel Valls blieb dann auch offen, wer von der Ausbürgerung betroffen sein sollte: alle wegen Terror verurteilten Franzosen, in Frankreich geborene Doppelstaatler oder nur zuvor eingebürgerte ausländische Bürger?

Zu welcher Kompromissformel die Abgeordneten finden, ist ungewiss. Eine Erklärung des Präsidenten des Senats, Gérard Larcher von den Republikanern, verstärkte die Ungewissheit: Er bekräftigte, die rechte Mehrheit des Senats werde jeden von der Nationalversammlung beschlossenen Text zurückweisen, der nicht den ursprünglichen Vorschlag des Präsidenten vom November enthalte, dass der Entzug der Staatsbürgerschaft nur Doppelstaatler betreffen werde. Anderenfalls wäre es besser, Hollande würde sein Vorhaben ganz zurückziehen.

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