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Nach der Absage Lafontaines: Frauen-Duo will die Linke retten

Der Zoff um die Spitze in der Linken offenbart eine tiefe Krise. Ein junges Frauen-Duo hat nun seine Kandidatur erklärt. Doch Parteichef Klaus Ernst spricht sich für eine Kandidatur von Sahra Wagenknecht aus - und diese schließt das nicht aus.

Stand:

Nach Oskar Lafontaines Absage, für die Parteispitze zu kandidieren, herrscht Chaos in der Linkspartei. Wurde über ihn und die Bedingungen seiner Kandidatur gestritten, wird nun erst recht debattiert, wer die Partei führen und inhaltlich wieder auf Kurs bringen soll.

Wie will die Partei aus dem Kandidaten-Dilemma finden?

Klar ist nur eins: Auf dem Parteitag in Göttingen in anderthalb Wochen muss die Linke eine Doppelspitze wählen, in der mindestens eine Frau vertreten ist. Der Ost-West-Proporz ist zwar nicht in der Satzung vorgesehen, gilt aber als ungeschriebenes Gesetz. Ebenso sollten möglichst die Parteiflügel ausgewogen vertreten sein. Bisher zeichnet sich noch keine eindeutige Lösung ab, hinter der sich die gesamte Linkspartei versammeln könnte.

Nach Lafontaines Rückzug geht es seinen Anhängern zuerst einmal darum, seinen Herausforderer Dietmar Bartsch zu stoppen. Parteichef Klaus Ernst und Lafontaines Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht forderten Bartsch zum Verzicht auf seine Kandidatur auf, weil diese insbesondere bei Genossen im Westen sehr umstritten sei.

Bartsch hatte Anfang 2010 auf Druck von Lafontaine als Bundesgeschäftsführer zurücktreten müssen. Bei zahlreichen Ost-Reformen (und einigen Realos aus dem Westen) genießt Bartsch jedoch Unterstützung, weil er für einen pragmatischen Kurs der Annäherung an die SPD steht und als langjähriger Parteimanager wie kaum ein anderer die Linke kennt. Sie sehen außerdem nicht ein, dass Lafontaine ihnen indirekt zu diktieren versucht, wer auf dem Parteitag kandidieren darf und wer nicht.

Mit Lafontaines Rückzug ist die Westlinke unter Druck geraten, wen sie als prominentes Gesicht aus ihren Reihen aufbieten kann. Daher werden die Rufe nach Wagenknecht wieder lauter. Ernst sprach sich am Donnerstag für eine Kandidatur von Wagenknecht aus. Die Vizefraktionschefin habe „Ausstrahlung weit über die Partei hinaus“, sagte Ernst der „Süddeutschen Zeitung“. Die stellvertretende Parteivorsitzende Wagenknecht scheint eine Kandidatur für die Parteispitze nicht mehr auszuschließen: „Ich hoffe, dass diese Variante nicht notwendig sein wird, und wir trotzdem eine gute Lösung finden“, erklärte sie auf Nachfrage der
Nachrichtenagentur dpa.

Sehen Sie hier: Lafontaines Karriere in Bildern

Die frühere Wortführerin der Kommunistischen Plattform stammt zwar aus dem Osten, hat aber viele Anhänger im Westen und sitzt für die NRW-Linke im Bundestag. Sie steht für einen klaren Kurs der Abgrenzung von der SPD. Mit ihrer Kandidatur würden allerdings auch die Chancen von Bartsch steigen, Parteichef zu werden. Eine Doppelspitze aus der talkshowerprobten Wagenknecht und dem Politprofi Bartsch fände auch im Osten zahlreiche Unterstützer. „Die beiden wären in der Lage, die Breite der Partei abzubilden“, wirbt etwa der Berliner Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich. Wagenknecht selbst hat eine solche Zusammenarbeit aber bislang strikt abgelehnt – vermutlich auch aus Rücksicht auf Lafontaine, für den Bartsch ein rotes Tuch ist. Ob Liebichs Appell, noch einmal neu über ein solches Duo nachzudenken, fruchtet, ist ungewiss. In dieser festgefahrenen Situation entfaltet für viele eine Lösung Charme, die als „dritter Weg“ bezeichnet wird:  eine weibliche Doppelspitze.

Kann ein Frauen-Duo die Partei retten?

Die nordrhein-westfälische Landeschefin Katharina Schwabedissen und die Linken-Vizevorsitzende Katja Kipping aus Sachsen versprechen den Aufbruch zu einer „neuen, nicht-autoritären“ Linken. „Wir kandidieren als Team“, erklärte Schwabedissen am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Hannover. Man wolle der zerstrittenen Partei ein offenes Angebot für eine kollektiv agierende Parteispitze machen, sagte Kipping. Unterstützt werden die beiden von Bundesgeschäftsführerin Caren Lay sowie den Bundestagsabgeordneten Jan van Aken (Hamburg) und Thomas Nord (Brandenburg). Eine bunte Truppe aus Ossis und Wessis, aus Männern und Frauen, so soll das Angebot für den Parteitag Anfang Juni aussehen. Kollektiv statt dominierender Führungsfigur, lautete die Botschaft für den „dritten Weg“. Die Mehrheit der Delegierten wolle keine Konfrontation mehr, sagte Lay mit Blick auf die Führungsquerelen. Ausgeschlossen werde niemand, erklärte Kipping. Auch Bartsch, Lafontaine und Wagenknecht sollten weiter „eine wichtige Rolle in der Partei spielen“. In welcher Funktion, ließen sie allerdings offen.

Auf dem Parteitag sollen sich die Delegierten nach dem Willen der Gruppe zunächst auf die weibliche Doppelspitze festlegen. Das dürfte jedoch umstritten sein, denn normalerweise werden beide Vorsitzende nacheinander gewählt: in der ersten Runde die Frau, in der zweiten Runde der Mann, wobei in diesem Wahlgang auch Frauen antreten dürfen. Hinzu kommt: Wichtige Vertreter der Westlinken können sich eine Führung „ohne gewerkschaftlich-soziale Vertreter“ nicht vorstellen, wie etwa Baden-Württembergs Landessprecher Bernd Riexinger sagt. Schließlich stammten viele frühere WASG-Mitstreiter im Westen aus dem Mittelbau der Gewerkschaften. „Dieses Erfolgskonzept in Frage zu stellen, wäre politischer Selbstmord“, sagt Riexinger. Doch weder die Ost-Frau Kipping noch die West-Frau Schwabedissen kommen aus diesem Milieu. Schwabedissen sagt über sich selbst, sie sei bei den christlichen Pfadfindern sozialisiert worden. Sie hat sich außerdem nie klar dem Lafontaine-Lager zugeordnet.

Ist die "vereinte Linke" gescheitert?

Ist der Anspruch der Partei, eine „vereinte Linke“ zu sein, gescheitert?

Nach der offiziellen Gründung der Linken im Jahr 2007 überwog zunächst die Euphorie. Für Gregor Gysi und viele andere PDS-Politiker wurde das Realität, was sie sich lange nicht hatten vorstellen können: eine gesamtdeutsche Linke. Die Zusammenarbeit mit der im Osten tief verwurzelten PDS wiederum bot dem Sammelsurium aus enttäuschten Gewerkschaftern, Sozialdemokraten und Altlinken im Westen die Chance, als bundesweite Stimme wahrgenommen zu werden. Doch inzwischen stellen zahlreiche Linken-Politiker fest, dass in den vergangenen Jahren die Gräben zwischen Ost und West „nicht überbrückt, sondern tiefer geworden“ sind, wie es in einem Antrag zum Parteitag in Göttingen heißt, den zahlreiche prominente Reformer unterschrieben haben. „Aufkeimende Dogmatismen“ hätten der Streitkultur, der Solidarität untereinander und der Offenheit nach außen wie nach innen geschadet, heißt es dort weiter.

Das Problem der Partei liegt zum einen in der unterschiedlichen Struktur: Im Westen ist die Linke Protestpartei, im Osten Volkspartei. Das macht es schwer, sich auf eine gemeinsame Strategie zu verständigen. Lange Zeit konnten die beiden Frontmänner Gysi und Lafontaine die inhaltlichen Differenzen übertünchen. Dadurch, dass sie sich nicht auseinander bringen ließen, hielten sie auch die Partei zusammen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung über den Kurs der Partei fand nicht statt. Differenzen wurden unter den Teppich gekehrt, um die Chancen der Partei bei Landtags- und Bundestagswahlen nicht zu gefährden.

Doch neben den inhaltlichen gibt es auch kulturelle Differenzen: Mit dem autoritären Stil, den Lafontaine in die Partei brachte, hatten viele Gewerkschafter und Ex-Sozialdemokraten im Westen kein Problem. Im Osten löste er jedoch heftige Irritationen bei den PDS-Leuten aus, die sich nach ihren Erfahrungen aus SED-Zeiten einen anderen Umgang miteinander angewöhnt hatten. Zuletzt prallten diese Kulturen aufeinander, als Lafontaine seine Kandidatur daran knüpfte, dass Bartsch nicht als Gegenkandidat antreten dürfe. „Eine solche Unterwerfung konnten wir uns doch nicht gefallen lassen“, sagt ein ostdeutscher Funktionär.

Droht ein Rückfall in den Status einer Ost-Regionalpartei?

Die Zeiten, in denen die Linkspartei von Erfolg zu Erfolg eilte, sind vorbei. 2005 gelang dem von Lafontaine und Gysi geschmiedeten Wahlbündnis erstmals der Sprung in den Bundestag, 2009 erreichte die Linke sogar 11,9 Prozent der Stimmen. In den aktuellen Umfragen ist die Partei von solchen Werten weit entfernt. Im Westen flog die Linke in diesem Jahr erstmals wieder aus den Landtagen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Sie kämpft zum einen damit, dass sie Wähler an die Sozialdemokraten verliert, die ihren Kurs seit Gerhard Schröders Agenda-Zeiten verändert haben. Die Piraten laufen der Linken außerdem im Westen den Rang als Protestpartei ab.

Fünf Jahre nach der Gründung findet sich zwar keiner, der eine Spaltung der Partei in Ost und West befürwortet. „Wir können dauerhaft nur als gesamtdeutsche Linke erfolgreich sein“, sagt Sachsen-Anhalts Landesvorsitzender Matthias Höhn. Der Berliner Landschef Klaus Lederer mahnt seine Genossen, sich wieder auf Gemeinsamkeiten zu besinnen. „Wir dürfen keine Parteien in der Partei bilden, die am Ende recht behalten wollen“, sagt Lederer. Doch wie die Linke im Westen wieder erfolgreich werden kann, darauf hat keiner eine richtige Antwort. Zunächst müsse sich die Partei wieder zusammenraufen, mahnt Fraktionschef Gysi: „Die Aufgabe der Zusammenführung unterschiedlicher, aber wichtiger Teile der Partei bleibt.“

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