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Politik: Für Gott und Vaterland

Polens Klerikalkonservative machen für totales Abtreibungsverbot mobil – die Gegner setzen auf Europa

Stand:

Ein Triumphzug soll es sein. Ein Triumphzug im Namen Gottes, für den Glauben für das Leben und für Polen. Singend und betend standen Tausende von Menschen vor dem Parlament in Warschau. Alles an dieser Demonstration soll zeigen, dass hier Tausende von Katholiken nicht für ihr persönlichen Eitelkeiten kämpfen, sondern dass sie eine klare Mission zum Schutz des Lebens haben und dabei nur zwei Instanzen anerkennen: den allmächtigen Herrn und ihr Vaterland. Aus allen Landesteilen, von Danzig bis Krakau, sind sie gekommen, um den Parlamentariern, die zur gleichen Stunde im Sejm über das Recht zum Schwangerschaftsabbruch streiten, den richtigen, nämlich ihren Weg, zu weisen.

„Ein Kind abzutreiben ist Mord“, sagt ein junges Mädchen mit Polen-Flagge um die Schultern, das zu einer Gruppe aus der Stadt Radom gehört. „Und in der Bibel steht, dass man nicht töten darf.“ Nur einige Straßen weiter, auf dem Platz der Konstitution haben sie sich zum Protest zusammen gefunden. Auch dieser Ort ist mit Bedacht gewählt. Denn das Ziel der klerikal-konservativen Kräfte in Polen ist es, die Verfassung so zu ändern, dass Abtreibungen auf alle Fälle verboten werden. So soll im Artikel 38 künftig das Leben vom Zeitpunkt der befruchteten Eizelle bis zum natürlichen Tod unter den absoluten Schutz des Staates gestellt werden. Ausnahmen soll es nicht geben.

Ein buntes Volk hat sich am Platz der Konstitution zusammen gefunden, deutlich jünger als die Demonstranten vor dem Parlament, T-Shirts und Rasta-Locken statt Hemden und Krawatten. „Wir wollen keine Verfassungsänderung unter dem Diktat der religiösen Fanatiker“, ruft eine junge Frau ins Mikrofon. Immer wieder wird das Recht der Frauen betont, über ihr Leben selbst zu entscheiden. Lange habe man darum kämpfen müssen. Die junge Frau beruft sich nicht auf Polen, sondern auf die Europäische Union. „Wir sind doch nicht in einem Gottesstaat, wir sind doch in Europa.“

Als Kronzeugin für diesen Satz zieht sie Alicja Tysiac zu sich auf die Treppenstufen. Ihr Fall hat Polen in große Aufregung gestürzt und gezeigt, dass Ärzte selbst in anerkannten Härtefällen häufig eine Abtreibung verweigern – aus Angst vor Angriffen der Ultrakatholiken.Der sehbehinderten Alicja Tysiac wurde von polnischen Ärzten eine Abtreibung verwehrt, obwohl sie mit gesundheitlichen Schäden rechnen musste. Nach der Geburt ihrer Tochter erblindete Tysiac fast völlig. In der vergangenen Woche hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg der alleinerziehenden dreifachen Mutter Schadenersatz zugesprochen. Doch damit begann für sie die zweite Etappe des Spießrutenlaufens. Denn Alicja Tysiac wurde von Teilen der der polnischen Presse, von Kirchenvertretern und Regierungsmitgliedern angefeindet - obwohl 66 Prozent der Polen das Urteil laut einer Umfrage für gerechtfertigt halten. „Sie ist eine Person, die ihre Kinder umbringen will“, polemisierte der erzreaktionäre polnische Bildungsminister Roman Giertych gegen Tysiac. Er hat dabei die katholischen Bischöfe auf seiner Seite. Staatspräsident Lech Kaczynski dagegen befürwortet die Verschärfung des Abtreibungsrechts aus Sorge vor gesellschaftlicher Polarisierung nicht.

Selbst die deprimierende alltägliche Praxis in Polen kann die Abtreibungsgegner nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Seit 1993 kann in dem Land nach geltendem Recht eine Schwangerschaft nur nach Vergewaltigung, bei gesundheitlicher Gefahr für die Mutter oder schwerer Schädigung des Fötus legal abgebrochen werden. Die Folge dieser Regelung ist, dass jedes Jahr nur rund 200 legale Abtreibungen registriert werden. Illegale Abbrüche gibt es Schätzungen zufolge mehr als 100 000.

Knut Kron[Warschau]

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