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Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine

© Ukrainian Presidential Press Office/AP/dpa

Geheimdienst-Chef suspendiert: Für Selenskyj war sein Schulfreund nicht mehr tragbar

Wolodymyr Selenskyj suspendiert seinen Geheimdienst-Chef und die Generalstaatsanwältin. Die Hintergründe der Entscheidung sind nicht ganz klar.

Stand:

Nicht entlassen, nur suspendiert – auf diesen feinen Unterschied legte die Kanzlei des ukrainischen Präsidenten am Montag großen Wert. Am Abend zuvor hatte Staatsoberhaupt Wolodymyr Selenskyj in seiner Videobotschaft verkündet, er mache von seinen Vollmachten unter den Bedingungen des Kriegsrechts Gebrauch und habe den Chef des Geheimdienstes Iwan Bakanow und Generalstaatsanwältin Irina Wenediktowa von ihren Aufgaben entbunden.

Es gebe ernste Fragen angesichts der Fälle von Hochverrat und Kollaboration mit dem Feind in den Behörden der beiden Staatsbediensteten, begründete Selenskyj seine Entscheidung. Die Suspendierung von Bakanow und Wenediktowa solle verhindern, dass sie Einfluss auf Ermittlungen gegen ihre Mitarbeiter nehmen. Erst wenn diese Untersuchung abgeschlossen sei, werde entschieden, ob der Präsident das Parlament um die Entlassung der beiden hochrangigen Beamten bitten werde.

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Derzeit seien 651 Ermittlungen eingeleitet. Mehr als 60 Mitarbeiter der Justiz und der Geheimdienste seien in den von Russland okkupierten Gebieten geblieben und arbeiteten dort jetzt gegen den ukrainischen Staat.
Die Zahlen scheinen wenig erstaunlich und schon gar nicht erschreckend, wenn man in Betracht zieht, dass vor dem Krieg Millionen Ukrainer eine Partei gewählt hatten, die offen pro-russische Politik machte.

Die „Oppositionsplattform – für das Leben“ war bei den letzten Parlamentswahlen mit 13 Prozent zweitstärkste politische Kraft nach Selenskyjs Präsidentenpartei „Diener des Volkes“ geworden. In den jetzt von Russland besetzten Gebieten im Donbass wurde die „Oppositionsplattform“ mit Abstand stärkste Partei.

Geht es um Einfluss auf den Präsidenten?

Die Nachrichtenagentur Interfax Ukraine veröffentlichte am Montag Beispiele für die Kollaboration vormals ukrainischer Staatsdiener und Volksvertreter mit den russischen Okkupanten. So habe sich im Gebiet Luhansk ein ehemaliger Abgeordneter einer kommunalen Volksvertretung bereiterklärt, die Abteilung „Kultur, Jugend und Sport“ in einer Kreisverwaltung der Separatisten zu übernehmen.

Auch ein Staatsanwalt habe sich der neuen Macht angedient, und ein weiterer ist heute Generalinspektor des Zolls von Luhansk. In der Hafenstadt Mariupol im Donezker Gebiet seien Polizisten übergelaufen und in Cherson sei ein Lehrer unter der russischen Macht zum Schulleiter aufgestiegen.

Die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Venediktova.

© IMAGO/NurPhoto/ Anatolii Siryk

Die nicht unbedingt zum Lager Selenskyjs gehörende „Ukrainska Prawda“ vermutete am Montag, um solche Fälle sei es bei den Suspendierungen wohl nicht gegangen. Vielmehr spielten mutmaßlich Kämpfe um den Einfluss auf den Präsidenten eine zentrale Rolle. So gebe es schon seit langem Streit zwischen dem Chef von Selenskyjs Kanzlei, Andriy Jermak, und Geheimdienstchef Bakanow.

Mit der Arbeit Bakanows war man in Kiew offenbar unzufrieden

Mit Bakanow trifft es einen Freund Selenskyjs seit den Kindertagen in Krywyi Rih. Sie wohnten im gleichen Haus, gingen in die gleiche Schule, studierten an der gleichen Universität. Als Selenskyj seine TV-Produktionsfirma „Studio-95“ aufbaute, wurde Bakanow Hausjurist. Danach leitete er 2019 im Präsidentschafts-Wahlkampf Selenskyjs den Stab.

Drei Monate nach dem Wahlsieg übernahm Bakanow den Geheimdienst. Bereits im Juni wurden dann offensichtlich aus der Präsidialverwaltung an das US–Magazin „Politico“ durchgestochen, man sei dort sehr unzufrieden mit der Arbeit Bakanows und arbeite daran, ihn loszuwerden. Er habe sich der Kriegssituation nicht gewachsen gezeigt. Das Verhältnis zwischen den beiden alten Freunden habe sich spürbar abgekühlt.

In den Anfangstagen soll Bakanow beim Vormarsch auf die Südukrainische Stadt Cherson einige „merkwürdige“ Entscheidungen seiner untergebenen im Südukraine nicht unterbunden haben. So habe der Geheimdienstchef von Cherson seinen Mitarbeitern den Befehl erteilt, die Stadt zu verlassen und nicht zu verteidigen.

Zum Verhängnis könnte es dem Selenskyj-Freund auch die Nähe zum früheren Chef des Geheimdienstes auf der Krim geworden sein, der am Wochenende unter dem Verdacht des Hochverrats verhaftet wurde.

Schon zu Beginn seiner Amtszeit hatte es zu den Plänen Selenskyjs gehört, den ukrainischen Geheimdienst zu reformieren. Seine Mannschaft hegte Zweifel an der Loyalität vor allem von älteren Offizieren. Diese Reform hat Bakanow möglicherweise in Augen der Präsidialkanzlei nicht konsequent genug vorangetrieben.

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