Politik: Geld regiert das System
Die US-Vorwahlen sind spannend wie selten. Ein Modell für Deutschland sind sie nicht, sagen Experten
Berlin - Ehemalige First Lady gegen schwarzen Jungpolitiker, Vietnamveteran gegen Multimillionär: Die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, Hillary Clinton und Barack Obama, inszenieren ihren Vorwahl-Kampf als spannende, möglichst mitreißende Show – ebenso wie John McCain und Mitt Romney auf Seiten der Republikaner. Am Dienstag, dem „Super Tuesday“, könnte in beiden Lagern eine Vorentscheidung fallen, wer am Ende von seiner Partei in das Rennen ums Weiße Haus geschickt wird, wenn sich die Parteien zur eigentlichen Wahl um den Regierungsauftrag bewerben. Mehr als 20 Staaten stimmen am Dienstag ab, von New York bis Alaska – begleitet von einem enormen Medienspektakel. Bei den Demokraten sind dann 1681 Delegiertenstimmen zu vergeben – zur Sicherung der Kandidatur sind insgesamt 2025 erforderlich. Bei den Republikanern gibt es am Dienstag 1023 Delegiertenstimmen, zur Nominierung sind 1191 erforderlich.
Zum Feld der Bewerber zählen diesmal weder der amtierende Präsident, noch sein Vizepräsident – niemand geht also mit einem Amtsbonus ins Rennen. Eine so offene Situation gab es bisher nur ein einziges Mal nach dem Zweiten Weltkrieg, vor 56 Jahren. Doch vor dem Wahlduell 1952 zwischen dem Republikaner und späteren Präsidenten Dwight D. Eisenhower und seinem demokratischen Herausforderer Adlai Ewing Stevenson gab es damals noch keine Vorwahlen im heutigen Stil – sondern allein Hinterzimmerpolitik.
Das amerikanische Vorwahlsystem heutigen Zuschnitts hat durchaus seinen Charme und dank seiner basisdemokratischen Elemente etwas von „Demokratie pur“, findet der Historiker Andreas Etges vom John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien in Berlin, der auf die Entwicklung des amerikanischen Wahlsystems im 20. Jahrhundert spezialisiert ist. Durch das Vorwahlsystem könnten die Bürger über die Kandidaten frühzeitig mitbestimmen – und bekämen sie nicht einfach von den Parteien vorgesetzt. Trotzdem ist ein Spektakel wie der „Super Tuesday“ für Etges kein Vorbild für Deutschland: „Das Ganze kostet enorm viel Geld. Und die Rolle, die das Geld inzwischen spielt, hat das ganze System etwas pervertiert.“
Auf die immensen Kosten der Wahlkampf-Shows und -Werbemaßnahmen weist auch der Politikwissenschaftler William Chandler hin, der in diesem Jahr das Auslandsprogramm der University of California in Toulouse und Bordeaux betreut. Da die Wahlkämpfe in den USA einen längeren Vorlauf mit entsprechendem „Warmlaufen“ der Kandidaten haben als in Europa, werde der US-Präsidentschaftswahlkampf diesmal rund fünf Milliarden Dollar verschlingen. Besonders teuer für die Kandidaten sind die Tage vor dem „Super Tuesday“: Um ihre Botschaften im ganzen Land unters Volk zu bringen, sind sie auf kostspielige Werbespots bei den großen nationalen TV- Sendern wie ABC, NBC oder CBS angewiesen. Dass die Kandidaten derzeit bei diesen Sendern zudem zahlreiche Interviews geben, erklärt Chandler, hat vor allem den Zweck, nationale TV-Präsenz zu sichern, die aber nichts kostet.
Der Politikwissenschaftler und USA- Experte Claus Leggewie erinnert allerdings daran, dass trotz der Macht des Geldes die Vorwahlen im Kern eine urdemokratische Erfahrung bleiben: „Wer einmal bei den Vorwahlen in einer Garage oder Stadtbücherei einer Kleinstadt in Iowa oder South Carolina dabei war, bekommt einen guten Eindruck davon, wie stark der amerikanischen Republik basisdemokratische Elemente innewohnen.“ Auch unmittelbar vor dem „Super Tuesday“ sei es für die Kandidaten wichtig, auf die lokalen Belange der Anhänger einzugehen. Die meisten TV-Spots, die die US-Bürger in den nächsten Tagen zu sehen bekommen, behielten deshalb einen „provinziellen Anstrich“. Auch wenn unmittelbar vor dem großen Wahl-Dienstag eine direkte Ansprache – anders als bei den ersten Vorwahlen wie in Iowa – für die Kandidaten wegen der großen Entfernungen kaum mehr möglich ist, so heißt es dennoch: Wer als Kandidat punkten will, muss Lokalkolorit zeigen. Aus diesem Grund, so Leggewie, werden auch die landesweit übertragenen Auftritte der Kandidaten „oft als Townhall- Meeting inszeniert“.
Trotz des großen Einflusses, den die US-Bürger bei den Vorwahlen unmittelbar auf die Vergabe der Delegiertenstimmen ausüben, hat das System seine Tücken. Politikwissenschaftler William Chandler bezeichnet insbesondere das System der Stimmenvergabe bei den Demokraten als „intransparent“. „Ich würde vermuten, dass sehr wenige Amerikaner es genau verstehen“, sagt er.
Weil aber das Rennen diesmal so offen ist wie selten zuvor, ist auch die Beteiligung an den „Primaries“ höher als sonst. In den Augen des USA-Experten Leggewie besteht allerdings für die Demokraten die Gefahr einer Zerreißprobe: Es verheiße „nichts Gutes, wenn die Demografie derart durchschlägt, dass Schwarze den schwarzen Kandidaten, weiße Frauen die weiße Kandidatin und weiße Männer den weißen Mann wählen, den mittlerweile abgetretenen John Edwards“.