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Eine Boeing 767 steht auf einer Militärbases in der Nähe von Salisbury. Es wird angenommen, dass mit ihr Asylsuchende von Großbritannien nach Ruanda gebracht werden sollen.

© Andrew Matthews/PA Wire/dpa

Geplanter Abschiebeflug nach Ruanda: Nach Stopp durch Gericht: Großbritannien hält an seinem Plan fest

Ein europäisches Gericht verhindert den ersten Abschiebe-Flug von Großbritannien nach Ruanda. Johnsons Regierung bleibt bei ihrem Vorhaben.

Großbritanniens Regierung will sich vom Einspruch europäischer Richter und von empörten Protesten prominenter Briten gegen ihre Flüchtlings-Politik nicht vom Plan der Abschiebung Tausender Asylbewerber nach Ruanda abbringen lassen. Und das obwohl der erste Abschiebe-Flug in der Nacht zum Mittwoch von Innenministerin Priti Patel unter spektakulären Umständen abgesagt werden musste.

Die Ministerin bekannte gestern im Parlament, sie sei „sehr überrascht“ und „enttäuscht“ gewesen von einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Dienstagabend, das die schon bereit stehende erste Maschine mit sieben Flüchtlingen an Bord in letzter Minute am Abflug hinderte.

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Sie lasse sich aber nicht davon abhalten, „das Richtige zu tun“, versicherte Patel. Weitere Vorbereitungen zur Verfrachtung von Asylbewerbern nach Afrika seien bereits in Gang, fügte sie hinzu.

Hintergrund der umstrittenen Flüge ist eine Vereinbarung zwischen Großbritannien und Ruanda vom April dieses Jahres. Diese sieht vor, dass Ruanda in den nächsten Jahren Zehntausende Asylbewerber aus dem Vereinigten Königreich aufnimmt und dafür Hunderte Millionen Pfund an Entwicklungshilfe erhält. Die dortigen Behörden sollen in eigener Regie entscheiden, wer ein Aufenthaltsrecht in Ruanda erhält und wer in sein Heimatland zurück befördert wird, selbst wenn er von dort geflohen ist.

Die Deportation nach Ruanda soll Flüchtlinge abschrecken

Mit der Massen-Deportation hofft London den Zustrom von Menschen über den Ärmelkanal zu stoppen und Boots-Flüchtlinge – die man als „illegale Migranten“ betrachtet – von der Überfahrt abzuschrecken. Der Plan war allerdings von Anfang an auch in Großbritannien heftig umstritten und ist von Oppositions-Politikern, Menschenrechts-Anwälten und Flüchtlings-Organisationen als „total unmenschlich“ und „geradezu unglaublich“ verurteilt worden.

Für Dienstag hatte die Regierung den ersten Abschiebe-Flug angesetzt. Eine Boeing 767, die angeblich für eine halbe Million Pfund gechartert worden war, stand auf einem Militärflugplatz bereit. Von den ursprünglich vorgesehenen 130 Geflüchteten, die an diesem Tag nach Ruanda geflogen werden sollten, befanden sich allerdings nach juristischen Eingaben wenige Stunden vor dem Start nur sieben an Bord.

Eine Demonstrantin protestiert gegen den geplanten Abschiebeflug nach Ruanda.
Eine Demonstrantin protestiert gegen den geplanten Abschiebeflug nach Ruanda.

© IMAGO/ZUMA Wire

Tatsächlich hatten mehrere britische Gerichte am Dienstag das Recht der Regierung auf Deportation der betreffenden Asylbewerber bekräftigt. In einer Sonderentscheidung am Abend stoppte aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Flug. Das Straßburger Gericht forderte, dass ein Iraker erst nach dem Ende seines Verfahrens in Großbritannien ausgeflogen werden solle. Das öffnete die Tür für weitere Einsprüche – die letztlich alle erfolgreich waren. Ministerin Patel erklärte, sie werde dafür sorgen, dass in Großbritannien dem Willen des Volkes nach Sicherung der britischen Grenzen Rechnung getragen werde. Die konservative „Daily Mail“ warnte vor der „Einmischung“ europäischer Richter in britische Angelegenheiten.

Nachdem die Regierung Boris Johnsons diese Woche bereits in Sachen Brexit und Nordirland auf scharfen Kollisionskurs mit der EU gegangen ist, wittern nationalkonservativ gestimmte Briten in der Flüchtlingsfrage erneut „ausländische Bevormundung“. Dabei hat das Straßburger Gericht nichts zu tun mit der EU, aus der Großbritannien ausgetreten ist. Es ist das höchste Rechtsorgan des Europa-Rats, zu dessen 46 Mitgliedsstaaten auch das Vereinigte Königreich gehört.

Prince Charles nannte die Flüge in einem privaten Gespräch angeblich "empörend"

Diese Woche spielte der Premier erstmals auch auf die Möglichkeit an, dass sich sein Land der Gerichtsbarkeit Straßburgs entziehen könnte, um seine Abschiebe-Politik ungestört durchführen zu können.

Zu schaffen macht der Regierung freilich, dass außer Oppositions-Politikern und Wohlfahrtsverbänden auch immer mehr Angehörige des britischen Establishments die Massen-Deportation nach Ruanda verurteilen. Nachdem jüngst bereits Prinz Charles die Flüge in einem privaten Gespräch angeblich „empörend“ nannte, hat die Führungsriege der anglikanischen Kirche das Abschiebe-Konzept als „unmoralische Politik“ und als „eine Schande für Großbritannien“ eingestuft. Verurteilt worden ist der Plan auch von hohen Repräsentanten anderer Konfessionen und von landesweit bekannten Sportlern, Künstlern, Schauspielern und Autoren.

Peter Nonnenmacher

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