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Politik: Gerades Leben, krummer Weg

Von Gerd Nowakowski

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Achtung vor dem Wolf. Der beißt. Auch als Ehrenbürger Berlins. Verbrecherisch nannte er die SPD, weil sie mit der Linkspartei koaliert. Nein, das sei zu schwach, schob er gestern nach, das sei „schlimmer als ein Verbrechen, das ist ein Fehler“. Das ist keine Entschuldigung, der Mann liebt die große Geste. Das Zitat stammt vom französischen Staatsmann Talleyrand; der richtete damit über Napoleons Kriege. Vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit hat sich Biermann gestern dennoch ehren lassen. Biermann gibt den Biermann. Den aber hat er schon mal besser gespielt.

Darf der das? Er darf. „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“, hat der jetzt 70-Jährige einst zu seiner schrapligen Klampfe gereimt. Daran hält er sich. Sein Leben lang. Richtig sein müssen seine Urteile damit nicht unbedingt. Sein harsches Verdikt über die Koalition der Sozialdemokraten mit der PDS, an der noch das Blut der DDR-Schergen klebe, das war vor sechs Jahren verständlich. Der Bund mit der SED-Nachfolgepartei hat schließlich 2001 diese Stadt emotional bewegt wie kein Thema seit dem Mauerfall. Die Zeit ist darüber hinweggegangen. An Berlins Landesregierung gibt es einiges zu kritisieren; zu ihren Verdiensten aber gehört, dass Rot-Rot zur inneren Einheit des zerrissenen Berlins beigetragen hat. Koalitionen sind keine Liebesheiraten; eine durch demokratische Wahl zustande gekommene Mehrheit kann man nicht verbrecherisch nennen. Und die alten SED-Kader spielen in der PDS längst keine Rolle mehr; die sind ein geriatrisches, kein politisches Problem. Da schlägt der Wolf die Zähne in einen zu alten Knochen.

Dieser Berliner Ehrenbürger Biermann ist trotzdem und gerade deswegen eine gute Wahl. Er hat mit seinen Liedern das DDR-Politbüro zur Weißglut getrieben, er hat mit seinen widerständigen Gesängen den Menschen Mut zur Auflehnung gemacht. Seine hinterhältige Ausbürgerung hat bei vielen DDR-Bürgern den Schlussstrich markiert zu ihrem Staat. Mit seinen Gesängen vom preußischen Ikarus hat er die Mauer bröckeln lassen und zum Sturz der SED-Diktatur beigetragen. Berlin hat ihm zu danken.

Zum geraden Leben gehört ein krummer Weg. Biermann zog in die DDR, als viele aus ihr flüchteten, er sang gegen den Kapitalismus im Westen und galt in der DDR als Staatsfeind, er machte den Springer-Verlag für das Attentat auf Rudi Dutschke verantwortlich und ist Kolumnist bei Springer, er ließ sich nach seiner Ausbürgerung von Marcel Reich-Ranicki helfen und beschimpfte ihn als angeblichen polnischen Stasi-Mann. Biermann, dessen Verse für Nachgeborene ziemlich schlicht klingen, dieser zerrissene Dichter gehört zu dieser zerrissenen Stadt.

Biermann ist eine Zumutung. Regierende Bürgermeister müssen Ehrenbürger nicht mögen. Die Ehrung ist größer als persönliche Verletzungen; auch Eberhard Diepgen hatte immer ein sehr kühles Verhältnis zum Parteifreund Helmut Kohl. Ehrenbürger wurde der Altkanzler dennoch. Daraus hätte Klaus Wowereit, der gestern Biermann souverän würdigte, zeitiger lernen können. So aber zeigte die Debatte beispielhaft, wie sich eine Landesregierung vorführen lässt. Monatelang ignorierte Wowereit den Vorschlag der Opposition, bis selbst Sozialdemokraten dies offen kritisierten. Das war kleinlich.

Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit, hat Biermann einst gedichtet. Beweglich genug für neue Einsichten – und schnelle Wolfsbisse – ist er allemal. So wird man nicht Berlins Knut, den alle lieben; eher Berlins Knute. Berlin kann auch das aushalten.

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