Politik: Gesucht: ganz neue Europäer
KRISENGIPFEL DER EU
Von Albrecht Meier
Altes Europa gegen neues Europa – der drohende IrakKrieg hat auch diese Spaltung öffentlich gemacht. Bisher waren die Menschen an eine Europäische Union gewöhnt, die zwar zerstritten ist, aber einen gemeinsamen Kurs verfolgt. Künftig muss man sich möglicherweise auf eine EU einstellen, die zu den entscheidenden weltpolitischen Fragen – und dazu zählt die Irak-Krise – nichts Entscheidendes beizutragen hat.
Gerade haben nun „alte“ und „neue“ Europäer in Brüssel den Versuch unternommen, ihre Differenzen zu überbrücken. Erreicht wurde das schier Unmögliche: Ein glaubhafter Kompromiss, den sowohl Kanzler Gerhard Schröder als auch der britische Premier Tony Blair unterschreiben können. Der EU-Kompromiss von Brüssel geht auf die Bedeutung der UN-Inspekteure ein. Gleichzeitig machen die 15 EU-Staaten aber auch klar, dass sie vor einem Krieg als allerletztem Mittel nicht zurückschrecken.
Vorher hatten schon die Nato-Mitglieder – freilich ohne die Beteiligung Frankreichs – mit einem ähnlichen Spagat militärische Planungen zum Schutz der Türkei ermöglicht. Aber auch wenn sich in diesen Tagen viele europäische Staats- und Regierungschefs um Kompromisse scharen, sollte sich niemand täuschen: Der Riss, der durch Europa geht, ist tief wie nie. Der Kontinent erlebt gerade eine tiefe außenpolitische Krise – in der aber auch eine Chance liegt.
Man kann es unfair finden, dass diese Krise die Europäer zu einem Zeitpunkt trifft, da es gerade erst losgeht mit einer europäischen Außenpolitik. Die EU hat bisher nur bei der Friedenssicherung auf dem Balkan ein eigenständiges außenpolitisches Profil gezeigt. Man kann auch die Provokation des amerikanischen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld unfair finden, der auf der Landkarte ein „altes Europa" in der Gestalt Deutschlands und Frankreichs entdeckt haben will. Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass sich die Europäische Union in der Irak-Krise hat spalten lassen, blitzartig. Und genau das ist beängstigend.
Es wäre zu kurz gegriffen, den neuen Zwist in Europa nur den so genannten „neuen“ Europäern Blair, Aznar und Berlusconi anzulasten. Vor knapp drei Jahren hielt Jacques Chirac im Bundestag eine Rede, in der Frankreichs Staatspräsident weit in die europäische Zukunft schaute. Chirac sprach dabei auch die Möglichkeit an, dass in Zukunft mehrere EU-Staaten in der Außenpolitik auch alleine vorangehen könnten, wenn sich die übrigen Mitglieder nicht trauten. Unter dem Druck der Irak-Krise hat sich Chiracs Langzeit-Vision in eine unschöne europäische Wirklichkeit verwandelt.
Anders als es sich Frankreichs Staatschef damals vorgestellt haben mag, haben sich nun gleich zwei Gruppen in Europa enger zusammengeschlossen. Auf der einen Seite die Anhänger eines strikten Kurses gegen Bagdad, auf der anderen Seite diejenigen, die dem UN-Waffenkontrolleur Hans Blix so viel Zeit wie möglich geben wollen. Allen voran Deutschland und Frankreich.
Frankreichs Präsident kommt in der Irak-Krise mittlerweile eine Schlüsselrolle zu. Sein Volk verehrt ihn, weil er im Weltsicherheitsrat dem amerikanischen Präsidenten Bush Paroli bietet. Gleichzeitig ist den Franzosen der starre Pazifismus deutscher Prägung fremd, den Schröder eben erst wieder befeuert hat. Chiracs Hinweis, dass eine gewaltsame Intervention im Irak als letztes Mittel nie ausscheiden kann, diente den 15 Europäern am Montagabend als Brücke.
Nach dem Gipfel von Brüssel sollten die Verantwortlichen in den 15 Hauptstädten trotzdem noch einmal ehrlich die Frage beantworten: Wie viel europäische Gemeinsamkeit in der Außenpolitik wollen wir überhaupt? Und lohnt es sich, im Streit über ein gemeinsames Ziel der EU im Irak-Konflikt gleich auch das Einigungswerk der vergangenen Jahrzehnte zu riskieren?
Eines hat Rumsfeld mit seiner provokanten Zuspitzung erreicht: In Europa, in der Bevölkerung, wird darüber nachgedacht, ob es so etwas geben kann wie eine eigene Antwort der Alten Welt auf den Irak-Konflikt. Wenn künftig auch die EU-Regierungen bei der Antwort auf diese Frage offene Antworten geben würden, wäre das schon einmal nicht das Schlechteste. Diplomatie ist auch eine Frage der Gelegenheit.
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