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Wahlzettel in Diyarbakir (Illustration).

© dpa/EPA/TOLGA BOZOGLU

„Gewählte Bürgermeister gehören ins Rathaus, nicht ins Gefängnis“: SPD-Außenpolitiker Schmid kritisiert Umgang mit kurdischen Politikern

Kommunalpolitiker in kurdischen Regionen der Türkei beklagen die Behinderung ihrer Arbeit. Sie fühlen sich als Bürger zweiter Klasse und von Europa ignoriert.

Als Bürgermeisterin Nilüfer Yilmaz vor einigen Tagen zur Arbeit kam, fand sie das Tor verschlossen und das Rathaus von Polizisten besetzt vor: Als fünfzehnte Kommune im türkischen Kurdengebiet wurde die Stadt Kiziltepe vom türkischen Innenministerium unter Zwangsverwaltung gestellt. „Ich bin vom Volk gewählt“, rief die Bürgermeisterin und rüttelte am Rathaustor, doch die Polizisten schickten sie fort. Während die Welt auf die türkische Intervention gegen die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien blickte, hat Ankara die kurdischen Kommunalverwaltungen im eigenen Land abgeräumt und viele gewählte Bürgermeister verhaften lassen. Als erster europäischer Politiker seit Beginn des Kahlschlags kam jetzt der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid in die Region, um sich ein Bild zu machen. „Ich habe die politische Lage als sehr bedrückend wahrgenommen“, sagte Schmid dem Tagesspiegel in der Kurdenmetropole Diyarbakir.

„Das tut auch ganz persönlich weh“

Auch in Diyarbakir säumen gepanzerte Mannschaftswagen die Straßen, vor dem Rathaus stehen Wasserwerfer bereit. Oberbürgermeister Selcuk Mizrakli von der Kurdenpartei HDP ist nicht im Rathaus, er sitzt hunderte Kilometer weit von der kurdischen Millionenstadt im Gefängnis. Der geachtete Arzt wurde vor zwei Wochen im Morgengrauen von der Polizei aus seiner Wohnung in Diyarbakir geholt. Seine Ko-Bürgermeisterin Hülya Alökmen Uyanik musste hilflos zusehen. „Ich bin seit 20 Jahren mit Selcuk befreundet, wir waren früher Kollegen im Gesundheitswesen“, erzählte Uyanik im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Wie er da in Handschellen gelegt und abgeführt wurde, wie er weit weg von seiner Familie und seiner Stadt gebracht wurde - das ist nicht nur furchtbares Unrecht und Rechtlosigkeit, das tut auch ganz persönlich weh.“

Kurdische Kommunen unter türkischer Zwangsverwaltung

Mit 63 Prozent der Stimmen waren Mizrakli und Uyanik bei den Kommunalwahlen im Frühjahr ins Rathaus gewählt worden. Doch Uyanik durfte ihr Amt gar nicht erst antreten: Weil sie Berufsverbot im öffentlichen Dienst hat, verweigerte die Wahlkommission ihr die Anerkennung des Wahlsiegs. Mizrakli musste das Bürgermeisteramt alleine übernehmen, konnte aber auch nur vier Monate lang regieren: Schon im August setzte Ankara auch ihn ab und stellte Diyarbakir unter Zwangsverwaltung, ebenso die beiden anderen Großstädte im türkischen Kurdengebiet, Mardin und Van. Ein Dutzend weitere kurdische Kommunen ließ Ankara nun in den vergangenen Tagen und Wochen unter Zwangsverwaltung stellen und ihre Bürgermeister verhaften.

Nicht zufällig geschah das zeitgleich mit der militärischen Offensive in Nordsyrien, meint Uyanik. „Als die Türkei den Krieg begonnen hat, da hat sich die türkische Opposition sofort hinter die Regierung gestellt“, sagte die HDP-Politikerin. Eigentlich habe die Kurdenpartei auf etwas Solidarität der kemalistischen Oppositionspartei CHP gehofft, deren Kandidaten Ekrem Imamoglu sie im Frühjahr zum Wahlsieg in Istanbul verholfen hatte – aber vergeblich, sagte Uyanik. Mit Kriegsbeginn sei auch die türkische Opposition wieder in „Nationalismus und Militarismus“ verfallen. „So konnten unsere Bürgermeister verhaftet werden, ohne dass die türkische Öffentlichkeit dagegen aufbegehrte.“

Auch in der internationalen Öffentlichkeit ging der Kahlschlag im türkischen Kurdengebiet etwas unter, während die Welt nach in Nordsyrien blickte. Nils Schmid war der erste namhafte Politiker aus Europa, der sich die Lage mit einem Besuch vor Ort jetzt näher ansah. Bei einem Spaziergang durch die Altstadt von Diyarbakir, die noch immer von der Verwüstung der Kämpfe zwischen PKK und türkischer Armee vor drei Jahren gezeichnet ist, wurde der SPD-Politiker von Händlern und Passanten neugierig beäugt – europäische Besucher sind hier in den letzten Jahren selten geworden.

Schmid beklagt Vorgehen als „schweren Rückschritt“

Mit einem Aufstieg auf die römischen Stadtmauern über dem Tigris und im Gespräch mit Vertretern von Politik und Zivilgesellschaft verschaffte Schmid sich einen Überblick über die Lage in Diyarbakir – und was er zu sehen bekam, stimmte ihn bedenklich. „Wenn gewählte Bürgermeister aus dem Amt entfernt werden, dann ist das ein schwerer Schlag gegen die Demokratie und auch ein schwerer Schlag gegen das Vertrauen in die Demokratie“, sagte Schmid. „Demokratisch gewählte Bürgermeister gehören ins Rathaus und nicht ins Gefängnis.“ Das Vorgehen der türkischen Regierung sei „ein schwerer Rückschritt“ gegenüber dem, was im Südosten der Türkei vor einigen Jahren schon erreicht war.

Im Gespräch mit Vertretern der HDP und der Regierungspartei AKP plädierte der SPD-Politiker dringend für einen neuen Anlauf zu einem politischen Dialog. „Ich habe immer betont, wie wichtig es ist, dass demokratische Prozesse eingehalten werden und dass gewählte Bürgermeister und Parlamentarier ihre Funktion ausüben können; dass es eine hohe Aufmerksamkeit in Deutschland dafür gibt; und dass ich deshalb auch vor Ort bin, um dieses deutlich zu signalisieren“, sagte Schmid vor seiner Abreise aus Diyarbakir. Letzten Endes könne die Demokratie in der Türkei allerdings nur von den Bürgerinnen und Bürgern des Landes selbst durchgesetzt werden, fügte er hinzu.

Kurdenpartei HDP will weiterkämpfen

Die Frage ist nur, wie das gehen soll, wenn nicht mit Wahlen – immerhin ist es schon das zweite Mal in drei Jahren, dass die gewählten Volksvertreter in Diyarbakir abgesetzt und eingesperrt werden. „Seit zwei Wahlperioden werden unsere Wählerstimmen weggeworfen“, sagte ein Einwohner von Diyarbakir unserer Zeitung. „Dann bekommen wir auch noch einen Statthalter der von uns abgelehnten undemokratischen Machthaber vor die Nase gesetzt, und die Opposition schweigt dazu.“ Unter den Kurden greife deshalb das Gefühl um sich, dass auf demokratischem Wegen nicht weiterzukommen sei. „Wir fühlen uns nicht mehr als Bürger dieses Landes.“

Die HDP werde den demokratischen Weg dennoch weitergehen und sich nicht provozieren lassen, sagte Uyanik, die den Bezirksverband der HDP in Diyarbakir leitet. „Wir glauben, dass die Lösung der Kurdenfrage und die Demokratisierung der Türkei nur mit politischen Mitteln erreicht werden können, und deswegen werden wir unsere Bemühungen darum fortsetzen“, sagte die Kurdenpolitikerin. „Wir sehen durchaus, dass versucht wird, uns zu anderen Mitteln zu nötigen und uns in die Illegalität zu drängen. Aber wir werden uns nicht davon abbringen lassen, mit demokratischen Mitteln für unsere Rechte einzutreten.“

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