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„Kirche offen“. Ein Schild an der Türklinke weist auf die geöffnete evangelische Stadtkirche in Offenbach bei Frankfurt am Main hin (Archiv 19.11.2009).

© epd/Norbert Neetz

„Wir müssen Ecken und Kanten zeigen“: Gläubige fordern Kirchen zu grundlegenden Reformen auf

Die evangelische und die katholische Kirche haben sich die Meinung der Gläubigen mittels einer Befragung eingeholt. Die Ergebnisse wirken ernüchternd.

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Die Theologin Christina Brudereck sagt: „Mitglied in einer Partei bin ich, weil wir Moral und Menschlichkeit brauchen.“ Sie fügt hinzu: „Mitglied in der evangelischen Kirche bin ich geworden, weil wir Kraft brauchen für Moral und Menschlichkeit.“

Brudereck spricht vor der in Ulm tagenden Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Auf der Tagung des Evangelischen Kirchenparlaments wurde am Dienstag die sechste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) der EKD und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz vorgestellt. Für die repräsentative Untersuchung hatte das Meinungsforschungsinstitut Forsa Ende 2022 5.282 Menschen im Alter von mehr als 14 Jahren bis zu 592 Fragen gestellt.

Mehrheit fordert grundlegende Veränderung der Kirchen

„Das Verhältnis zur Kirche wird immer individueller“, sagte der Vorsitzende des Beirats der KMU, der Kirchenpräsident von Hessen und Nassau, Volker Jung. „Wer religiös ist, ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem kirchlichen Kontext: Über Religion spricht man in der Kirche.“

Nicht nur die Kirchenbindung geht zurück, sondern auch die Religiosität.

Christopher Jacobi, Studienautor

Doch etwa 80 Prozent der evangelischen Kirchenmitglieder und über 90 Prozent der Katholiken gingen davon aus, dass sich die Kirche grundlegend verändern muss, wenn sie eine Zukunft haben will. Denn schon heute sind 43 Prozent der Menschen in Deutschland konfessionslos. Und ihre Zahl wächst um 1 bis 1,5 Prozent pro Jahr, sagt Studienautor Christopher Jacobi. „Nicht nur die Kirchenbindung geht zurück, sondern auch die Religiosität.“

43
Prozent der Menschen in Deutschland sind konfessionslos

Auch ein Drittel der Kirchenmitglieder sei „säkular“: Nur etwa ein Drittel der Kirchenmitglieder und 19 Prozent der Gesamtbevölkerung bejahten die Aussage: „Ich glaube an einen Gott, der sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat.“ 33 Prozent der Gesamtbevölkerung, 18 Prozent der evangelischen und 15 Prozent der katholischen Kirchenmitglieder sagen hingegen: „Ich glaube nicht, dass es einen Gott, irgendein geistiges Wesen oder eine höhere Macht gibt.“

Die EKD Ratsvorsitzende Annette Kurschus bei der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland EKD am Montag in Ulm.

© imago/epd/IMAGO/Heike Lyding

Besonders eng mit der Kirche verbunden sind laut der Studie die verbliebenen Kirchenmitglieder in Ostdeutschland. Dort sei die Identifikation mit der Kirche höher, sagte Studienautor Edgar Wunder. Wichtig für die religiöse Sozialisation der Befragten sind insbesondere Konfirmanden- und Religionsunterricht gewesen. Sie haben etwa die religiöse Erziehung im Elternhaus in ihrer Bedeutung abgelöst. „Dort werden wichtige Weichenstellungen gemacht“, sagte die EKD-Ratsvorsitzende, die westfälische Präses Annette Kurschus.

Weiterhin Bedeutung hat Religion für die meisten Befragten in schwierigen Lebenssituationen: Gut 20 Prozent der Befragten sagen, dass Religion dann „große Bedeutung“ habe, ein Drittel spricht von „etwas Bedeutung“.

Ebenso betont die Studie die Bedeutung von Religion für die Zivilgesellschaft: 46 Prozent aller evangelischen und 49 Prozent aller katholischen Kirchenmitglieder engagieren sich regelmäßig ehrenamtlich. Das ist ein deutlicher Unterschied zu Konfessionslosen, von denen nur 33 Prozent angaben, dies regelmäßig zu tun. „Die Kirchen stärken die Demokratie“, folgerte Kurschus.

Und was ist mit dem Mitgliederschwund? „Man kann auch als kleiner werdende Kirche wirkungsvoll sein und Menschen erreichen“, sagte Jung. Und Kurschus betonte, ihr Ziel sei vor allem, dass die Kirche Hoffnung und Kraft ausstrahle. Das könnte dazu führen, dass sich wieder mehr Menschen der Kirche anschließen. „Ich glaube, dass wir in der evangelischen Kirche in den letzten Jahren zu profillos waren“, so Kurschus. „Wir müssen auch mal hier eine Ecke und da eine Kante zeigen, das macht uns interessant.“

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