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Wohin treibt Großbritannien?

© AFP

Großbritannien nach dem Brexit-Votum: Die Alten gehen - wer kommt?

Nach dem historischen Votum beginnt in London das Stühlerücken. Wer führt die Briten in die Zukunft?

Als am Freitagmorgen klar wurde, dass die Briten mehrheitlich für den Austritt aus der EU gestimmt hatten, schickte das Votum der „Brexiteers“ Schockwellen um den Globus. Nicht nur die Finanzmärkte reagierten panisch. Auch die Politik schien vom Ausgang der Abstimmung überrascht. Für das Vereinigte Königreich wie für die Europäische Union geht es jetzt um nicht weniger als die Zukunft. In Großbritannien haben die Nach-Referendums-Erschütterungen die großen Parteien erreicht. Premier David Cameron hat seinen Rücktritt angekündigt, Labour-Chef Jeremy Corbyn steht womöglich auch vor der Ablösung.

Wer könnte auf David Cameron folgen?
Am Freitag, die Brexit-Entscheidung war wenige Minuten alt, twitterte die BBC-Journalistin Laura Kuenssberg: „Eine Quelle berichtet, dass Gove und Boris über den Abgang von Cameron verhandeln“. So früh am Morgen waren sie dann doch noch nicht über den Premierminister hergefallen. Doch die Namen derjenigen, die über das Schicksal von David Cameron und vor allem über dessen Nachfolge mitbestimmen würden, waren richtig: Justizminister Michael Gove und der ehemalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson waren die konservativen Wortführer der „Leave“-Kampagne und damit ist ihnen die Macht über den Nachfolgeprozess zugefallen. Da Gove in der Vergangenheit immer wieder betont hat, dass er sich das Amt nicht zutraut, ist Johnson, wie ein Tory-Abgeodneter es nannte, in der „Pole Position“, Cameron nachzufolgen.
Laut einem „Guardian“-Bericht hat am Wochenende auch Finanzminister George Osborne begonnen, seine Chancen auszuloten. Er galt lange als natürlicher Nachfolger seines Freundes Cameron, der bei der nächsten Wahl ohnehin nicht mehr antreten wollte. Doch Osbornes jüngster, höchst umstrittener Haushaltsplan und sein klares Bekenntnis zum Verbleib Großbritanniens in der EU dürften seine Chancen zunichte gemacht haben.
Als aussichtsreiche Gegenkandidatin ist für Johnson in den vergangenen Tagen Theresa May ins Spiel gebracht worden. Die Innenministerin kommt zwar auch aus dem „Remain“-Lager, hat sich aber aus der Auseinandersetzung so elegant herausgehalten, dass sie sich nun der zerstrittenen konservativen Partei als Kompromissvorschlag andienen könnte. Vor allem, weil sie im Gegensatz zu Johnson als erfahren und seriös gilt.
Die Liste ist jedoch noch lange nicht abgeschlossen. Liam Fox, der ehemalige Verteidigungsminister, wollte am Wochenende nicht ausschließen, dass er seinen Hut in den Ring wirft. Nur eines ist klar: David Cameron, das hat er durchsickern lassen, will sich aus dem Nachfolgeprozess heraushalten.

Wie läuft der Prozess ab?
An diesem Montag trifft sich das „1922 Committee“ der Tory-Fraktion im Unterhaus, um die Regeln für den Nachfolgeprozess festzulegen. Ab dann werden sich die Kandidaten erklären, der erste dürfte Boris Johnson sein. Bis Ende Juli werden die konservativen Abgeordneten aus dieser Liste zwei Kandidaten auswählen, die sich dann – nach einem kurzen innerparteilichen Wahlkampf im Sommer – im September den 150.000 Parteimitgliedern zur Wahl stellen. Das Ergebnis soll bis zum Parteitag Anfang Oktober feststehen. Das war der Zeitpunkt, den David Cameron für seinen Rücktritt genannt hatte. Boris Johnson gilt auch deshalb als Favorit, weil er zwar bei dem Partei-Establishment in Westminster lange nicht wohl gelitten war, andererseits aber ein Liebling der Partei-Basis ist – die letztlich entscheidet.
Übersteht Labour-Chef Jeremy Corbyn den Brexit?
Unwahrscheinlich. Der Druck auf ihn, der schon vor dem Referendum ein vergleichsweise ungeliebter Parteichef war, hat seitdem zugenommen. Heidi Alexander und Gloria de Piero sind bereits aus Corbyns Schattenkabinett zurückgetreten und mit anderen Rücktritten wird gerechnet. Vorher hatte der Labour-Chef den Schatten-Außenminister Hilary Benn abgesetzt. Benn ist einer der schärfsten Kritiker Corbyns, dem von vielen in der Partei vorgeworfen wird, sich nicht entschlossen genug für den Verbleib Großbritanniens in der EU eingesetzt zu haben. „Es gibt kein Vertrauen in unsere Fähigkeit, die nächste Wahl zu gewinnen, die früher als erwartet kommen kann“, sagte Benn am Sonntag. Der Sohn des früheren Labour-Politikers Tony Benn gilt als potenzieller Nachfolger von Corbyn.
Warum hört man eigentlich nichts von der Queen?
David Cameron hat am Freitagmorgen erklärt, dass er die Queen bereits über seinen Rücktrittsplan informiert habe. Wie sie reagiert hat, sagte Cameron nicht. Sie spielt in dem Nachfolgeprozess auch keine Rolle, ebenso wenig wie von ihr erwartet wird, dass sie sich zum Ausgang des Referendums äußert. Als die „Sun“ vor einigen Wochen mit der Schlagzeile „Queen unterstützt Brexit“ erschien, dementierte der Buckingham Palast das sofort. Sie dürfte jedoch großes Interesse daran haben, dass Schottland nicht als Folge des Brexits entscheidet, unabhängig zu werden. Schließlich liegt ihr geliebtes Schloss Balmoral in Schottland.

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