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Kassam

© dpa

Nahost: Hamas-Führer hält Neujahrsansprache

Auch am sechsten Tag israelischer Luftangriffe in Gaza feuern militante Palästinenser weiter mit Raketen auf israelische Städte. Die Hamas-Führung ist in den Untergrund abgetaucht. Von dort sendet Ismail Hanija eine Mischung aus SOS und Kampfansage.

Stress und Müdigkeit stehen Hamas-Führer Ismail Hanija förmlich ins Gesicht geschrieben. Mehr als 400 Palästinenser sind seit Beginn der israelischen Militäroffensive gestorben. Von der Hamas-Infrastruktur sind nur Trümmerberge übrig geblieben. Aus Furcht um das eigene Leben ist Hanija wie die restliche Hamas-Führung in den Untergrund abgetaucht. Aus dem Versteck hält der 45-Jährige eine Art Neujahrsansprache und übt sich in einem gewaltigen Verbalspagat: ein bisschen SOS, ein bisschen Verhandlungsbereitschaft und schließlich wieder die Unbeugsamkeit und Kampfansage, die man von Hamas-Führern üblicherweise die ganze Rede lang gewöhnt ist.

Hanija forderte, dass Israel seine seit sechs Tagen andauernde Militäroffensive ohne Vorbedingungen beendet, die Blockade des Gazastreifens aufhebt und die Grenzübergänge öffnet. Dann könne man sich hinsetzen und "über alle Akten" ein "positives Gespräch" führen. Hanija glaubt, dass die Hamas Oberwasser hat, nachdem ihre Raketen erstmals auch Städte mehr als 40 Kilometer tief im israelischen Kernland erreichen und das Leben von einer Million der 7,3 Millionen Israelis gefährden könne. Außerdem haben die israelischen Luftschläge die Hamas-Führung bislang unversehrt gelassen. Zwar sind alle untergetaucht und haben ihre Mobiltelefone aus Angst abgeschaltet, dass die Sendesignale sie verraten könnten, aber nur zwei hochrangige Kommandeure sind am ersten Tag der Luftangriffe getötet worden.

Olmert lehnt Waffenruhe ab

Mindestens zwei Probleme gibt es bei dem ersten Wink der Hamas mit dem Ölzweig: Der amtierende israelische Ministerpräsident Ehud Olmert lehnt eine Waffenruhe ab. Denn Israel verlangt einen vollständigen Stopp der Raketenangriffe. "Wir haben die Gaza-Offensive nicht begonnen, um sie mit der gleichen Anzahl von Raketenangriffen zu beenden", sagt Olmert. Und dann ist da noch das generelle Problem mit der Hamas, dass nicht jeder Sprecher und Führer, der redet, auch etwas zu sagen oder geschweige denn das letzte Wort hat.

Der ehemalige Ministerpräsident Hanija gehört beispielsweise zum eher moderaten Flügel. Den Militanten hat er nichts zu sagen. Die starken Männer sind die Hardliner um den früheren Außenminister Mahmud Sahar. Said Siam ist für die Hamas-Sicherheitskräfte zuständig. Ahmed Dschabri kommandiert den militanten Flügel, die Al-Kassam-Brigaden. Dem Machtzentrum zugerechnet werden auch Nisar Rian, der die Verbindung zwischen dem politischen und militärischen Flügel hält, sowie der offizielle Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri. Zu den Insidern zählt auch das hochrangige Hamas-Mitglied Chalil Haja.

In der Hamas geht es nicht zu wie in den kommunistischen Parteien der früheren Ostblockstaaten. Hamas-Politbürochef Chaled Maschaal, der in Syrien Unterschlupf gefunden hat, kann die Hamas-Führer im Gazastreifen nicht einfach herumkommandieren. Ob die Hamas eine Waffenruhe sucht oder lieber eine israelische Bodenoffensive provoziert, muss er mit seinem Gaza-Statthalter Sahar absprechen.

Straßenkampf, Häuserkampf - alles kein Problem

Schenkt man den Hamas-Erklärungen Glauben, dann fürchten die Militanten keine Bodenoffensive. 16.500 gut ausgebildete Soldaten hat die Hamas unter Waffen. 3000 bis 4000 weitere Kämpfer stellen die anderen militanten Palästinenserorganisationen. Es ist ein offenes Geheimnis in Gaza, dass Hamas-Offiziere im Iran, im Libanon und in Syrien ausgebildet worden sind. Straßenkampf, Häuserkampf - alles kein Problem. Im Labyrinth der dicht bevölkerten Flüchtlingslager mit ihren engen Gassen rechnen sich die Militanten eine Chance aus, viele israelische Soldaten zu töten oder zu entführen und auf diese Weise eine Waffenruhe zu erzwingen.

Der Sturz der Hamas steht nach bisherigen öffentlichen Äußerungen israelischer Regierungsmitglieder nicht auf dem Programm. Es geht um eine Schwächung und den Stopp des Raketenbeschusses. Aber ohne K.o.- Sieg über die Hamas geht auch diese Militäroffensive wahrscheinlich wieder so aus wie die letzte im März 2008. Als sich die israelische Armee nach fünftägigen schweren Kämpfen mit 106 Toten aus dem Gazastreifen zurückzog, feierte die Hamas einen Sieg samt Parade. Die Hamas-Logik geht so: Solange die Organisation nach den Kämpfen noch auf eigenen Füßen steht, solange die eigenen Führer unabhängig von den eigenen Verlusten erklären können, dass ihre Standhaftigkeit die "zionistischen Feinde" zum Rückzug gezwungen habe, solange hat Israel verloren und Hamas gewonnen.

Hans Dahne, Saud Abu Ramadan[dpa]

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