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Grünen-Politiker Boris Palmer

© dpa/Gregor Fischer

Martenstein über Berlin: Boris Palmer hat nur die Wahrheit gesagt

Die empörten Reaktionen auf Boris Palmer zeigen, warum die Berliner Probleme nicht gelöst werden. Man sieht sie gar nicht. Ein Kommentar.

Der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer, grün, wird von der Berliner Politik heftig kritisiert, weil er sich in einem Interview zu der Aussage verstiegen hat, in Berlin gebe es viel Kriminalität, viel Drogenhandel und viel Armut. Außerdem funktioniere die Stadt nicht. Diese Tatsachen sind den meisten Berlinern bekannt. Wer in Berlin lebt, findet tausend Gründe, die Stadt zu mögen. Die Problemlösungskompetenz der Regierung gehört nicht zu diesen Gründen. Palmer hat nur die Wahrheit gesagt.

Palmers Parteifreundin, die Wirtschaftssenatorin Ramona Pop, hat ihm so geantwortet: „Wenn du Metropole, Vielfalt, Tempo und Lebenslust nicht erträgst, kannst du anderswo die Kehrwoche zelebrieren und dich als Hilfssheriff blamieren.“

Palmer hat sich in Berlin genauso blamiert wie der Berliner, der sich in Reit im Winkl nach der nächsten U-Bahn-Station erkundigt.

schreibt NutzerIn yoda

Offenbar gibt es neue Sprachregeln von oben, statt „Kriminalität“ soll man „Vielfalt“ sagen. „Armut“ heißt neuerdings „Lebenslust“. Dass Pop ausgerechnet das „Tempo“ von Berlin lobt, zeigt ein hohes Maß an Realitätsverlust. Offenbar verwechselt sie das Jahr 2018 mit dem Jahr 1928. Welches Tempo meint sie? Das des Flughafenbaus? Das der Verwaltung? Das der S-Bahnen? Das des Wohnungsbaus? Wenn die Leute ein legitimes Bedürfnis nach sauberen Straßen und nach Sicherheit haben, und die Regierenden machen sich darüber lediglich lustig, dürfen die Regierenden sich nicht wundern, wenn die Leute sich von ihnen abwenden.

Die Affäre zeigt, wie sehr dieser Senat im Saft seiner Milieus schmort

Immerhin weiß man jetzt, warum die Berliner Probleme nicht gelöst werden. Man sieht sie gar nicht. Wenn die Leute kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen – dieser historische Satz könnte glatt aus Berliner Senatskreisen stammen.

Die Affäre zeigt, wie sehr dieser Senat im Saft seiner Milieus schmort. Sawsan Chebli von der SPD wirft Palmer „gefährliche Sucht nach Aufmerksamkeit“ vor. Diese Politikerin ist selber für alles Mögliche bekannt, aber am allerwenigsten für das Bemühen um Unauffälligkeit. Es würde glaubwürdiger wirken, wenn Michael Müller anderen Politikern vorwirft, sie seien zu auffällig.

Palmer hat Pop geantwortet. In Berlin wurde die Ansiedlung des Google-Campus erfolgreich verhindert, 500 gut bezahlte Arbeitsplätze. In Tübingen dagegen habe man das Zentrum der deutschen Forschung zur Künstlichen Intelligenz angesiedelt, 3500 Arbeitsplätze. Die Gewerbesteuer-Einnahmen haben sich verdreifacht, die Schulden sind weg, jedes Kind hat einen Kita-Platz, beim Klimaschutz liegt die Stadt vorn. Die neuen Einnahmen fließen in den Bau von bezahlbarem Wohnraum. Wer Armut bekämpfen will, braucht Geld. „Nur Reiche können sich eine arme Stadt leisten“, schreibt Palmer. Auf seiner Facebookseite hat er zahlreiche Glückwunschmails von Berlinern gepostet. Er wird sogar aufgefordert, hier als Bürgermeister zu kandidieren.

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