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„Einige Dinge klarstellen“: Pistorius schreibt nach Kritik Brief an eigene Fraktion
Verteidigungsminister Boris Pistorius ist in der Wehrdienstdebatte offen für Änderungen und gibt sich versöhnlich. Von Sachsens Ministerpräsident Kretschmer (CDU) kommt scharfe Kritik.
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Versöhnliche Töne zum in der SPD-Fraktion eskalierten Streit um einen neuen Wehrdienst: Verteidigungsminister Boris Pistorius, Fraktionsvize Siemtje Möller und der Abgeordnete Falko Droßmann haben sich in einem gemeinsamen Brief an ihre Fraktion gewandt. „Wir wollen nach der Diskussion in der Fraktionssitzung am Dienstag gemeinsam einige Dinge zum neuen Wehrdienst klarstellen“, schreiben die SPD-Politiker in dem Papier, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
„Der Grundsatz der Freiwilligkeit steht an erster Stelle und bleibt leitend für unser weiteres Handeln“, erklären Möller, Pistorius und Droßmann darin. Für den Fall, dass sich nicht ausreichend Freiwillige für den Wehrdienst melden, „müssen wir klare gesetzliche Regelungen für etwaige Verpflichtungen schaffen“.
Und sie betonen: „Dabei ist klar: darüber entscheidet der Deutsche Bundestag“. Der Verteidigungsminister hatte in einer SPD-Fraktionssitzung zu Beginn der Woche heftig gegen den Vorschlag eines Losverfahrens argumentiert, auf den sich Fachpolitiker der Fraktionen von Union und SPD bereits geeinigt hatten. Pistorius hatte sich dafür ausgesprochen, dass künftig alle jungen Männer gemustert werden sollen.
In dem Brief zeigen sich Möller, Pistorius und Droßmann überzeugt, gemeinsam mit der Union einen zeitgemäßen Wehrdienst entwickeln zu können. Ziel ist, dass das Wehrdienstgesetz zum 1. Januar in Kraft tritt.
Im Bundestag kompromissbereit
Vor dem Bundestag hatte Pistorius für seinen in der Koalition umstrittenen Gesetzentwurf geworben, sich aber auch zu Kompromissen bereit gezeigt. Er sprach sich in der ersten Beratung im Parlament erneut dafür aus, ganze Jahrgänge zu mustern, sagte aber zu anderen Vorschlägen: „Ich finde das okay, ich bin offen dafür, das parlamentarische Verfahren ist genau dafür da, das zu diskutieren.“
Die Union will nur einen Teil eines Jahrgangs mustern und diesen per Los bestimmen. Das ist einer der größten Streitpunkte in der Koalition. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat diesen Vorstoß von CDU-Fachpolitikern scharf kritisiert. „Das geht so alles nicht“, sagte er dem „Spiegel“. Es müsse in der Debatte darum gehen, „dass mehr Menschen sich beteiligen – Jungen und Mädchen, Frauen und Männer – für den Dienst an dem eigenen Land. Und das geht jetzt so verloren. Sie machen ja nur noch Späße und Witze.“
Besonders scharf ging Kretschmer mit Pistorius ins Gericht. Dessen Ministerium habe es versäumt, die Bevölkerung ausreichend mitzunehmen: „Sie müssen da einen gesellschaftlichen Konsens erzielen. Das geht nicht von oben nach unten“.
„Dieses Thema verdient eine ehrliche und offene Debatte“
Im Bundestag betonte Pistorius, dass es zu einem Pflichtdienst kommen müsse, wenn die freiwillige Anwerbung nicht ausreiche. „Aber auch das dann eben nur unter der Maßgabe eines Bundestagsbeschlusses, völlig eindeutig mit Festlegungen, die noch zu treffen sind“, betonte er.
Zum Streit in der Koalition über das Gesetz in den vergangenen Tagen sagte der Minister, alles weniger als eine „leidenschaftliche, offene, auch hitzige Debatte“, wäre für ihn eine Enttäuschung gewesen. „Dieses Thema verdient eine ehrliche und offene Debatte, weil es das Leben vieler, vieler Menschen betrifft.“
Pistorius’ Parteifreundin Möller pflichtete ihm bei: „Unsere Pläne führen zu großen Diskussionen in nahezu jeder Familie, auch in meiner, als Mutter zweiter Söhne. Es ist deshalb richtig, intensiv um den richtigen Weg zu ringen. Das Ziel ist klar: Ein attraktiver, sinnstiftender Dienst, der die Reserve stärkt und der dazu führt, dass viele Wehrpflichtige so begeistert sind, dass sie bereit sind, sich längerfristig bei der Bundeswehr zu verpflichten.
Am Dienstag war ein im Parlament ausgehandelter Kompromissvorschlag zu Änderungen an dem Gesetzentwurf in letzter Minute gestoppt worden. Pistorius hatte in der SPD-Fraktion dazu „erhebliche Bedenken“ geäußert. Dem Minister zufolge war ein Hauptgrund für seinen Widerstand die fehlende flächendeckende Musterung, die nach seinen Plänen ab Mitte 2027 kommen soll.
„Wir sind absolut offen für andere Vorschläge“, sagt Röttgen
Die Bundeswehr benötigt bis 2035 nach Nato-Vorgaben rund 80.000 zusätzliche Soldaten und deutlich mehr aktive Reservisten. Pistorius will dafür ab dem kommenden Jahr einen neuen freiwilligen Wehrdienst schaffen. Im ersten Jahr ist die Teilnahme an der Musterung noch freiwillig, ab Juli 2027 würde sie für alle 18-Jährigen verpflichtend. Der Gesetzentwurf sieht auch vor, zu einer Wehrpflicht umzuschwenken, wenn sich nicht genügend Freiwillige melden, nennt dafür aber keine konkreten Zielvorgaben.
Der Union reicht dies aber nicht aus. Sie fordert feste Rekrutierungsziele und einen Automatismus, um zur Wehrpflicht zurückzukehren, sollten diese Ziele nicht erreicht werden. „Nach dem Zufallsverfahren trifft jeden Mann die gleiche Chance, das gleiche Risiko. In dieser Gleichheit liegt die Fairness. Darum haben wir uns für dieses Verfahren entschieden. Aber wir sind absolut offen für andere Vorschläge“, sagte CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen in der Bundestagsdebatte. (dpa, Reuters, jmi)
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