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Politik: „Ich will die Wähler der Linkspartei zurück“

Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit über die SPD, soziale Gerechtigkeit und die Debatte um Proletarisierung

Herr Wowereit, trauen Sie sich das Amt des SPDParteivorsitzenden zu?

Ich bin Regierender Bürgermeister, das ist ein ausfüllendes Amt.

Das glauben wir ja, aber wer solche Sachen in diesen Zeiten sagt wie Sie zur Linkskoalition, zur Linkspartei, der muss sich schon ganz schön was trauen, oder nicht?

Die Aussage, die ich gemacht habe, ist eine Analyse der Situation. Und wie sich die Situation ab dem Jahr 2009 oder bis dahin entwickeln wird, kann heute bei den dynamischen Veränderungen in der bundesrepublikanischen Politik überhaupt keiner richtig beurteilen.

Das sieht der Kanzler aber anders, dass das nicht dramatisch sei…

Der Kanzler hat seine eindeutige Position, die hat er artikuliert, und die ist aus meiner Sicht völlig richtig. Der Kanzler sagt klipp und klar, er tritt dafür an, eine eigene Mehrheit zu bekommen und schließt eine Koalition mit der Linkspartei aus. Das ist völlig in Ordnung, und wird auch von mir ohne Wenn und Aber unterstützt.

Aber Sie haben damit nichts weiter zu tun?

Natürlich, ich bin in der SPD, und ich bin Regierender Bürgermeister von Berlin. Und die Aussage bezieht sich auf die anstehende Wahl, die ist eindeutig. Die schwierige Situation jetzt muss dadurch gelöst werden, dass die SPD alles daransetzt, mit den Grünen zusammen eine eigene gestalterische Mehrheit zu bekommen, damit Gerhard Schröder Bundeskanzler bleibt. Dafür kämpfe ich in diesem Wahlkampf.

Das ist schon sehr diplomatisch jetzt. Sie sind doch Parteipolitiker. Sie sehen, Ihre Partei steht im Wahlkampf, und da ist so eine Aussage doch Dynamit.

Ich sehe nicht, dass in so einer Aussage Dynamit ist. Ich kämpfe immer dafür, dass die SPD möglichst alleine regieren kann. Das ist mein Ziel, das ist meine Vision. In unserer Parteienlandschaft ist allerdings auch klar, dass wir unter normalen Umständen einen Koalitionspartner brauchen, und das sind auf der Bundesebene die Grünen.

Und Sie verstehen überhaupt nicht, dass sich die Leute aufregen?

Ich verstehe, dass die Konservativen sich aufregen…

Die Konservativen wie Schröder.

…die konservativen Parteien sich aufregen, weil sie natürlich durch bestimmte Tabuisierungen die SPD auf immer und ewig von der gestalterischen Mehrheit einer Regierung fern halten wollen. Das ist das alte Prinzip, was wir in Berlin jahrelang hatten. Die SPD war jahrelang in einer großen Koalition, die für die Bürgerinnen und Bürger nicht die Probleme gelöst hat.

Das sind sie ja jetzt auch, nur ist das die große Koalition mit der PDS/WASG.

Ich habe eine Koalition abgeschlossen mit der PDS, diese PDS benennt sich jetzt um und heißt demnächst Linkspartei/PDS.

Und wird geführt von Lafontaine.

Wird geführt von Stefan Liebich.

Aber Sie können doch die Augen nicht davor verschließen, dass Oskar Lafontaine, der so genannte Beelzebub der Sozialdemokratie, da was zu sagen hat. Auch Herr Liebich wird sich irgendwann nicht mehr beliebig von Herrn Lafontaine lösen können.

Ich habe eine Koalition mit Herrn Liebich, und die ist erfolgreich. Die wird auch erfolgreich in dieser Legislaturperiode fortgesetzt.

Okay, fragen wir anders: Was ist so schlimm an Oskar Lafontaine?

Also, jetzt ist’s genug zu dem Thema. Mehr sage ich dazu nicht.

Momentan steht die so genannte neue Linkspartei im Osten mehrere Punkte vor Union und SPD. Da muss sich die SPD doch jenseits von Koalitionen die Frage stellen, haben wir irgendwas falsch gemacht? Die Leute rennen zu Lafontaine.

Das muss man differenzieren. Die jetzigen Umfragewerte der Linkspartei beziehen sich wesentlich auf die PDS. Es gibt natürlich auch einen Anteil im ehemaligen Westteil der Republik, wo die PDS traditionsgemäß maximal auf zwei Prozent gekommen ist, da liegt sie heute mit der Linkspartei irgendwo im Bereich von sechs Prozent. Das sind Stimmen, die aus einem Spektrum von links der Mitte kommen – es sind potenziell Wählerstimmen auch für die SPD. Die SPD darf sie nicht aufgeben, wir müssen um diese Wählerstimmen kämpfen. Das bedeutet, dass die SPD auch für diese Wähler da ist, die offensichtlich von ihr enttäuscht sind, die bei Nichtexistieren der Linkspartei höchstwahrscheinlich zu Hause sitzen blieben. Wir müssen klar machen, dass die SPD mit ihrer Programmatik das, was sie eigentlich wollen, nämlich soziale Gerechtigkeit, abdeckt.

Wie macht man das?

Nicht populistisch. Nicht mit einfachen Antworten auf komplizierte Fragen, das ist nicht zukunftsfähig. Sondern mit sozialem Engagement. Das ist ein schwieriger Prozess für uns zurzeit, sonst wären die Wählerstimmen ja nicht weggegangen. Aber ich will diese Wähler zurück. Ich gebe sie nicht verloren.

Wo ist denn die soziale Gerechtigkeit bei der SPD?

Die soziale Gerechtigkeit entsteht dadurch, dass man den Staat handlungsfähig hält. Dass man rechtzeitig soziale Sicherungssysteme erhält, indem man sie umstrukturiert und nicht zum Kollabieren bringt. Ich habe nichts davon, dass ein Staat nur noch Zinsen zahlt, weil er sich in die Verschuldung flüchtet. Ich habe nichts davon, dass ein Staat nur noch hohe Transferleistungen für die sozialen Sicherungssysteme geben muss und damit dann kein Geld mehr hat, um in Bildung zu investieren. Es ist eben nicht damit getan, den Leuten alles zu versprechen. Sondern wir müssen heute sagen: Wer nicht bereit ist, diese Veränderungen durchzuführen, der wird mit schärferen Konsequenzen konfrontiert werden. Die sind dann überhaupt nicht mehr sozial gerecht. Weil dann eine Zwei-Klassen-Gesellschaft geben wird, in der nur noch der Reiche sich die Bildung, soziale Versorgung leisten kann, und diejenigen, die das nicht können, die werden auf der Strecke bleiben. Das ist total unsozialdemokratisch, total unsolidarisch. Diese Auseinandersetzung muss man führen.

Braucht die SPD nicht ein Gerechtigkeitsprojekt, das die Menschen verstehen? Wie wäre es mit einer radikalen Vereinfachung der Einkommensteuer?

Mmh. Habe ich große Sympathie dafür, habe ich auch schon gefordert. Wir brauchen für den Bund, für die Länder, für die Kommunen Einnahmen. Wir haben keine Chancen, Steuern einfach zu senken oder Steuergeschenke zu verteilen. Ich brauche mehr Einnahmen für die Kommunen, für die Länder und für den Bund. Aber da fängt die soziale Gerechtigkeit an. Mir nutzt es nichts, wenn ich einen Spitzensteuersatz habe von 42 Prozent – oder für noch besser Verdienende demnächst von 42 plus drei Prozent bei Einkommen über 500000 Euro –, diese Steuern aber de facto nicht gezahlt werden. Dafür zahlt dann derjenige, der niedrigere Steuersätze hat, voll, weil er keine Absetzungsmöglichkeiten hat? Nein. Das heißt: Radikaler Subventionsabbau, ohne Tabus, ohne Schere im Kopf. Es hilft nichts, da muss man ran. Das bringt viele Milliarden. Mehr als eine Steuererhöhung, wie die Union sie mit der Mehrwertsteuererhöhung vorhat.

Pragmatismus statt Philosophie, so klingt das. Also man kann die Linkspartei und die Union nicht über eine Wertedebatte stellen, sondern nur, indem man anständige Politik macht?

Man kann die Wähler der Linkspartei jedenfalls nicht zurückgewinnen, indem man die Linkspartei und die Personen nur beschimpft. Man muss sich sachlich auseinander setzen. Wir haben es erlebt bei Hartz IV: Da waren die Vertreter der PDS auf Bundesebene auf der Straße, haben demonstriert, und die Senatoren der PDS haben im Berliner Senat ihre Arbeit getan und Hartz IV umgesetzt. Das war dann mehr das Problem der PDS als unseres. Man muss die Vertreter der Linkspartei stellen, sie konkret fragen. Sie müssen nachweisen, wie sie ihre Vorstellungen finanzieren wollen.

Ist Berlin eigentlich ein Vorbild für den Umgang mit der Linkspartei?

Berlin ist der einzige Ort in Deutschland, wo Ost und West zusammengekommen sind. Als wir die Koalition mit der PDS gemacht haben, hatte die in Ostberlin 47 Prozent, insgesamt 22. Und siehe da, nach der großen Aufregung auch in dieser Stadt hat sich herausgestellt: Die Koalition setzt die dringend notwendigen Strukturveränderungen durch, auch gegen die eigene Klientel. Ich glaube, diese Überraschung hält noch an.

Eine vorbildliche Kommune, Berlin, und, wie der Bundeskanzler sagen würde, ein erstklassiger Bürgermeister?

Vorbildliche Kommune sollte man von sich selber nicht sagen. Wenn der Tagesspiegel das so beurteilt, dann werde ich dem nicht widersprechen.

Nein, wir sprechen vom Kanzler. Tut Ihnen das weh, wenn er Berlin eine Kommune nennt und Sie nur einen Bürgermeister?

Nein, das tut mir überhaupt nicht weh. Warum sollte es?

Es könnte Ihren Stolz treffen, den Stolz der Berliner.

Es trifft nicht den Stolz der Berliner, und es trifft schon gar nicht den Stolz des Regierenden Bürgermeisters.

Was sagen Sie den Leuten, die finden, dass Sie ganz schön kalt sein können?

Ich denke, in solchen Positionen muss man Entscheidungen treffen und sie durchsetzen. Wenn man das in Einzelfällen mit Kälte verwechselt, dann ist das eine falsche Einschätzung.

Sind Sie ein Machtpolitiker?

Selbstverständlich bin ich auch ein Machtpolitiker, weil ein Politiker, der nicht Macht auszuüben bereit ist, nicht regieren kann. Zu gestalten macht mir Spaß.

Sie haben in Berlin auch etwas zu gestalten. Es gibt jetzt eine Diskussion über das Wort von der Proletarisierung Ostdeutschlands. Und es gab mal das Wort vom proletarischen Berlin. Was ist daran falsch?

Ich finde es schamlos, wenn der brandenburgische Innenminister diesen tragischen Fall von Kindestötungen missbraucht, um 17 Millionen Menschen, die eine DDR-Sozialisation erfahren haben, zu diskriminieren. Ich finde das schamlos. Und ich kann nicht verstehen, wie jemand, der aus dem Westen kommt und in Brandenburg als Minister der Landesregierung angehört, so wenig Sensibilität für die Probleme Ostdeutschlands entwickelt. Ich frage mich, wie lange das eigentlich noch gut geht. Es ist ja nicht die erste Entgleisung von Herrn Schönbohm.

Was ist mit den Stichworten Vereinsamung und Entgesellschaftung?

Also wir haben, und ich spreche jetzt mal von Berlin, mit der extrem hohen Anzahl von Single-Haushalten, auch gesellschaftliche Strukturen, wo Menschen einsam sein können. Wo alte Menschen keine soziale Bindung mehr haben mit der Familie, mit Kindern, die sich kümmern können. Für unsere Gesellschaft mit ihrer demografischen Entwicklung wird es aus meiner Sicht das zentrale Problem sein, wie sich die Menschlichkeit zeigt, Für jeden, egal wer regieren wird. Welche Strukturen können wir anbieten ? Wie gehen wir mit unseren alten Menschen um? Es gibt hunderttausende Menschen in Vereinen und Verbänden, die sich kümmern. Trotzdem müssen wir aufpassen, dass unsere Gesellschaft nicht arm wird, kalt wird. Gesellschaftliche Prozesse kann man aber nicht anordnen. Ich kann nicht per Gesetz beschließen, dass zum Beispiel alte Menschen zusammenziehen, ein Kollektiv bilden sollen.

Kann man bei fünf Millionen Arbeitslosen deren Kreativpotenzial nutzen?

Ich bin dezidiert der Auffassung, dass, wenn der Arbeitsmarkt in der nächsten Zeit so sein sollte, wie er sich heute darstellt, Menschen ihre Erfahrungen in die sozialen Bereiche einbringen sollten. Mit der Möglichkeit des Zuverdienstes. Man muss auch eine Gegenleistung einfordern können.

Das Gespräch führten Stephan-Andreas Casdorff und Ingrid Müller. Das Foto machte Mike Wolff.

REGIERENDER

Klaus Wowereit (51) ist seit Juni 2001 Regierender Bürgermeister von Berlin, nachdem Eberhard Diepgen (CDU) wegen der Bankenaffäre durch einen Misstrauensantrag von SPD und Grünen abgewählt worden war. Nach vorgezogenen Neuwahlen im Oktober und gescheiterten Gesprächen über eine Ampelkoalition mit Grünen und FDP schlossen SPD und PDS ein rot-rotes Bündnis; damals mit Gregor Gysi als Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen.

SPARER

Angetreten ist Wowereit mit der Ankündigung, Berlin brauche nach Jahren der Großen Koalition von SPD und CDU einen Mentalitätswechsel. Das wichtigste Ziel seiner Landesregierung ist, die Finanzen des hoch verschuldeten Landes Berlin zu konsolidieren. Dazu hat er Berlin gemeinsam mit Finanzsenator Thilo Sarrazin einen Sparkurs verordnet, der anfangs auf Widerstand stieß, inzwischen aber auch vom Koalitionspartner PDS mitgetragen wird.

PIONIER

Ärger mit der eigenen Parteiführung und Bundeskanzler Gerhard Schröder handelte sich Wowereit kürzlich mit seiner Position ein, ein rot-rot-grünes Bündnis im Bund nur für die kommende Legislaturperiode auszuschließen. Für die Zeit nach 2009 will er seiner Partei die Option offen halten. Er habe mit der PDS im Berliner Senat gute Erfahrungen gemacht.

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