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Flüchtlinge bei der Überquerung eines Flusses nahe des Flüchtlingslagers in Idomeni.

© REUTERS

Update

EU-Kommissar vor Ort: "Idomeni stellt die Werte der zivilisierten Welt auf die Probe"

Die mazedonische Polizei hat die Flüchtlinge aus Idomeni dorthin zurück geschickt. Verstößt das Land damit gegen internationales Recht? Und was hat Norbert Blüm damit zu tun?

Der Name Norbert Blüm hat ihm erst einmal nichts gesagt. „Er soll Minister gewesen sein und hat vergangenes Wochenende aus Solidarität mit den Flüchtlingen an der Grenze kampiert“, sagt Giorgos Kyritsis. „Ich weiß gar nicht, ob er noch in Idomeni ist.“ Ist er nicht mehr.

Blüm, der katholische CDU-Sozialminister der Ära Kohl, flog wieder zurück nach Deutschland, und sein Name gibt der griechischen Regierung immer noch Rätsel auf. „Wir waren sehr erstaunt: Was ist das?“, fragt sich Kyritsis, der Sprecher des erst jüngst gebildeten Flüchtlings-Krisenstabs in Athen. Mit „Kommando Norbert Blüm“ war das Flugblatt gezeichnet, das am Montag mehr als 1000 Flüchtlinge in Idomeni auf gefährliche Weise in die Irre geführt hatte. Die griechische Polizei ermittelt nun. Deutsche Aktivisten gelten als mögliche Anstifter.

„Kriminell“ nennt Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras die offensichtlich geplante Aktion, als er am Dienstag vor die Presse tritt. Die Flüchtlinge, die seit Wochen in Kälte und im Schlamm am Grenzübergang Idomeni ausharren, ruft er auf, in andere Lager umzusiedeln. Manche folgen dem Aufruf nun. Die Zahl der Menschen in Idomeni soll von 12 000 auf knapp über 10 000 gesunken sein.

Die bizarre Episode mit dem „Kommando Norbert Blüm“

„Wir glauben nicht, dass die Balkanroute wieder öffnet“, räumt der Ministerpräsident erstmals ein. Alle Hoffnung auf eine Lösung der Flüchtlingskrise ruht nun auf dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag diese Woche und auf dem Abkommen mit der Türkei, das dort jetzt endgültig geschlossen werden soll.

Die bizarre Episode mit dem „Kommando Norbert Blüm“ hat die Dramatik an der geschlossenen Grenze noch erhöht: die Verzweiflung der Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, die zu spät kamen für den Exodus in den reichen Norden, aber nun ihr Scheitern nicht akzeptieren; der mit Stacheldraht bewehrte, neue Eiserne Vorhang zwischen dem Menschenfreund-Europa hier und dem Egoisten-Europa dort. „Europa, schäm dich!“, hatte der 80-jährige Blüm am Sonntag im Zeltlager von Idomeni ausgerufen. Mit der „Kommandoaktion“ habe er nichts zu tun, erklärte er am Dienstag.

Hat Mazedonien gegen internationales Recht verstoßen?

Neuen Streit zwischen Griechenland und Mazedonien gibt es noch dazu. Mazedonische Grenzbeamte sollen mit Gewalt mehrere hundert Menschen wieder über die Grenze zurückgedrängt haben, berichteten Flüchtlinge. Skopje meldete wiederum bereits die Rücküberstellung von 700 Flüchtlingen – was die griechische Seite nicht bestätigte; Athen wartete auf eine offizielle Bitte zur Rücknahme. Aber wenn es stimmt, dass Mazedonien Hunderte Asylsuchende einfach über die „grüne Grenze“, abseits der regulären Grenzübergänge, nach Griechenland zurückgeschoben hat, dann hat es gegen internationales Recht verstoßen.

Drei Wochen nach den Grenzschließungen auf dem Balkan trat auch der EU-Kommissar für Migration und Innere Angelegenheiten in Idomeni auf. Dimitris Avramopoulos sitzt in einem Container im Flüchtlingslager am griechischen Grenzübergang. Draußen ist es kalt und nass, und Avramopoulos hat etwas zu verkünden: Die Mitgliedsstaaten der Union haben am Dienstag ihr Nothilfeprogramm zur Bewältigung der Flüchtlingskrise offiziell beschlossen. 700 Millionen Euro wird es geben, vor allem für Griechenland und auf drei Jahre verteilt.

In Idomeni würden die Werte der zivilisierten Welt auf die Probe gestellt

In Athen wird das mit einer gewissen Bitterkeit zu Kenntnis genommen: „Bisher haben wir alles aus unserem eigenen Budget bestritten, und das ist, wie man weiß, sehr begrenzt“, sagt Kyritsis, der Krisenstab-Sprecher. Er ist ein langjähriger Freund des Regierungschefs, Parlamentarier der linksgerichteten Syriza und Chefredakteur des Parteiblatts Avghi.

Avramopoulos ruft in Idomeni die EU-Staaten auf, ihre „Tore zu öffnen“. Er meint nicht die Schlagbäume an den Grenzen, sondern den Plan zur Verteilung syrischer Kriegsflüchtlinge, den die Staats- und Regierungschefs der EU eigentlich mit Mehrheit vereinbart hatten.

In Idomeni würden die Werte der zivilisierten Welt auf die Probe gestellt, klagte der EU-Kommissar angesichts der Zustände in dem Zeltlager. Mit Gewalt will die griechische Regierung das Lager allerdings nicht räumen. Neue Aufnahmezentren mit besseren hygienischen Bedingungen schaffe sie immer wieder, je nach dem Bedarf der Flüchtlinge, versichert Kyritsis. „Wir finden Platz für sie.“ Bis zum Wochenende dürfte in Griechenland wohl die Marke von 50 000 Flüchtlingen erreicht sein.

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