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Man glaubt es kaum, aber manchmal ist selbst er ratlos, Matteo Renzi.

© dpa

Italiens neue Regierung: Im Land der Wundergläubigen

Ein halbes Jahr regiert Matteo Renzi jetzt in Italien – und langsam verblasst sein Glanz. Die Konjunkturdaten stehen auf Rezession, das Leben der Menschen hat sich nicht verbessert. Doch das ist nur ein Teil der Zwischenbilanz. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Paul Kreiner

Ein halbes Jahr nun ist Matteo Renzi im Amt, und der Sympathievorschuss, den ganz Europa dem so jungen, so stürmischen, so lockeren italienischen Regierungschef entgegengebracht hat, scheint verbraucht. Und jetzt?

Die Konjunkturdaten in Italien stehen wieder einmal auf Rezession. Die allgemeine Arbeitslosenquote fällt zwar leicht, die der jungen Leute aber steigt; die Staatsschulden tun das auch. Trotz der monatlich 80 Euro, die Renzi den Geringverdienern schenkt, bleibt die fürs Wiederaufleben der Wirtschaft nötige Inlandsnachfrage tot. Praktisch hat sich nichts getan, was die Lebenslage der Italiener verbessern würde. Auch in Europa meint man, dass nun endlich Taten folgen müssten. Nicht zufällig hat Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, sich dieser Tage seinen Landsmann zur Brust genommen.

Reformen drückt er per Dekret durch

Gemessen jedoch an dem, was möglich war, sieht Renzis Zwischenbilanz so schlecht nicht aus. Er hat – zumindest im ersten Schritt – eine Parlamentsreform durchgeboxt, wie sie bisher keiner vor ihm gewagt hat. Dabei muss Renzi mit einer Volksvertretung regieren, die zwar von seinen Sozialdemokraten dominiert wird, aber unter ihnen sind viele Abgeordnete, die dem Partei- und Regierungschef ablehnend gegenüberstehen. Die Kandidaten waren genau danach ausgesucht worden: Renzi hatte die innerparteiliche Vorwahl gegen Pier Luigi Bersani verloren, und dieser tat alles, um möglichst wenige „Renzianer“ ins Parlament zu bekommen.

Renzi unternimmt auch nichts, um die Partei werbend auf seine Seite zu ziehen. Die Reformen, die er für nötig hält, drückt er der Fraktion per Dekret auf. Von unten kommt wenig: Man bockt gegen den „Selbstherrlichen da oben“, und außerdem hat Renzi einen Pakt mit dem Erzfeind, mit Silvio Berlusconi, geschlossen. Für die nötigen Verfassungsreformen war das unerlässlich, aber die wackeren Linken verzeihen ihm das nie.

Auch die besten Maßnahmen brauchen Zeit

Der größte Fehler Renzis bestand darin, dass er unrealistische Hoffnungen geweckt hat. Monat für Monat wolle er eine Reform für Italien durchziehen, versprach er Mitte Februar: „Im März den Arbeitsmarkt, im April die öffentliche Verwaltung, im Mai die Steuern ...“ Jetzt ist August, alles ist irgendwie angefangen, aber alles hängt fest. Und selbst wenn der als Erstes angekündigte, dann schmählich verdrängte „Jobs Act“ im September endlich Gesetz werden sollte, wird es Monate oder Jahre dauern, bis er wirkt.

Genau das ist es, was Renzi den Italienern nicht sagt: dass auch die besten Maßnahmen Zeit brauchen, bis sie greifen. Und dass Italien gar nicht wachsen kann, wenn selbst der Hauptwirtschaftspartner Deutschland ein Minus vor den Konjunkturdaten hat. Mit seinem Hoppla-jetzt-komm-ich-Stil hat Renzi seine Landsleute bei deren Wundergläubigkeit gepackt, nicht aber ihren Realismus gefördert.

Ein Gerhard Schröder hatte das anders gemacht, als er 2003 sein langfristig angelegtes Ensemble von Strukturreformen präsentierte. Diese weite Sicht, dieser lange Atem fehlt Renzi. Er müsste jetzt seine Partei und alle Italiener guten Willens in eine umfassende „Agenda 2020“ einbinden. Mit seinen verstreuten Einzelbaustellen und seiner Alleinherrschafts-Attitüde kommt er nicht mehr weit.

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