Politik: In Polen leidet die Rechte unter ihrem eigenen Anti-Stasi-Gesetz
Sollte Gerhard Schröder es nicht längst geahnt haben, kann ihm sein Besuch heute in Warschau als Anschauungsunterricht dienen. Gerecht geht es nicht zu in der Politik.
Sollte Gerhard Schröder es nicht längst geahnt haben, kann ihm sein Besuch heute in Warschau als Anschauungsunterricht dienen. Gerecht geht es nicht zu in der Politik. Den Befreiern wird der Sturz des "ancien regime" selten gedankt. Die polnische Solidarnosc spielte die Schlüsselrolle beim Sturz des Kommunismus in Osteuropa - samt seinem Spitzelsystem. Die "Lustracja", die "Durchleuchtung" aller Inhaber höherer Staatsämter bezüglich früherer Stasi-Tätigkeit, gehörte denn auch zum Regierungsprogramm, als das Wahlbündnis Solidarnosc(AWS) 1997 zum zweiten Mal an die Macht gelangte - nach einem vierjährigen Zwischenspiel unter der ex-kommunistischen Linken, die derlei Aufklärung verständlicherweise weniger aktiv vorangetrieben hatte.
Doch auch für Antikommunisten gilt: Die Revolution frisst ihre Kinder. Vizepremier Janusz Tomaszewski stürzt, weil er eine frühere Mitarbeit beim Geheimdienst verschwiegen hat. Verkehrte Welt - die gute Absicht, die Täter nicht ungeschoren zu lassen und den Opfern eine moralische Genugtuung zu gewähren, schadet dem Lager der "Gerechten" und nützt den Erben der Unterdrücker.
Das war vorherzusehen. Wen überrascht es schon, dass ein Ex-Kommunist auch den geheimen Diensten diente? Etwa Premier Jozef Oleksy, der im Januar 1996 gehen musste, weil er - als Regierungschef eines Nato-Kandidaten - immer noch alte Moskauer Freunde traf, die dummerweise auf der Gehaltsliste des KGB standen. Die Empörung hielt sich in Grenzen, der Ansehensverlust für Polens Linke ebenso. Präsident Aleksander Kwasniewski, bis 1993 Parteichef der Linken, gelang es, ähnliche Anschuldigungen auszusitzen. Seine Popularität ist ungebrochen, auf ihn und seine Glaubwürdigkeit setzt der Westen bei Polens Integration in EU und Nato fast mehr noch als auf die der nationalkonservativen Regierung. Der Solidarnosc nehmen es die Bürger dagegen richtig übel, wenn einer ihrer Spitzenleute als Spitzel entlarvt wird - und der Westen, dass sie von der nationalistischen Rhetorik nicht lassen kann.
Für die Solidarnosc-Regierung und für Premier Jerzy Buzek kann die Affäre zum Anfang vom Ende werden. Der Ministerpräsident ist keine starke Persönlichkeit. Der Sturz seines Vize ermuntert seine Gegner, nun, zur Halbzeit der Legislaturperiode, gleich das ganz große Revirement einzufordern. Daran aber könnte die AWS zerbrechen. Nun muss sie beweisen, dass sie mehr ist als nur ein taktisches Wahlbündnis sehr heterogener Kräfte. Präsident Kwasniewski aber kann sich die Hände reiben. Seine Wiederwahl in einem guten Jahr scheint bei dieser Lage schon heute gesichert.