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Politik: Inhalt macht die Beute

Von Tissy Bruns

Angela Merkel lässt die Zügel locker, das ist klug. Sieht nicht schön aus, wie CDU und CSU in diesen Tagen zanken und streiten, wie Merz, Koch oder Wulff ihren Wettlauf um den Ruf als brutalstmöglicher Reformer öffentlich zelebrieren. Es muss aber sein. Und es nützt der Parteichefin, die ihr Ziel klar definiert hat. Sie will die Wahl 2006 gewinnen, „ihre“ Wahl, nicht die in NordrheinWestfalen oder im Saarland. Dazu gehört, dass in der Union jetzt ausgefochten werden muss, was sie mit der Macht im Bund anfangen will, auch wenn es laut und hässlich tönt.

Die CDU-Vorsitzende hat schon mehrfach bewiesen, dass sie stets ein, zwei Knotenpunkte weiterdenkt als ihre Kritiker. Sah es doch seinerzeit auch sehr unschön aus, als Merkel bei der Bundespräsidentenfrage unbedingt den lädierten Haufen FDP dabei haben wollte, obwohl sich im Bauch der Union das satte Gefühl breit gemacht hatte, man werde die Republik demnächst allein regieren. Jetzt hat das Land einen Bundespräsidenten, dem es etwas zutraut, und die Union ganz nebenher die Koalitionsaussage der Liberalen im Sack.

Zu ihrem Glück. Denn neuerdings stört ein gewisses Unbehagen die selbstbewusste Union. Keiner weiß so recht, warum – aber es fühlt sich im Bauch nicht mehr so an, als könne sie die rot-grüne Koalition sicher allein besiegen. Und nicht danach, als liefe alles wie von selbst darauf zu. Der kühne Wortfechter Friedrich Merz hat das auf einen klugen Begriff und auf eine dumme Formel gebracht. Richtig ist: Die Union macht derzeit „so eine Art Frustbeute“; sie ist, mit anderen Worten, bei Wahlen und in Umfragen nur in dem Maße gut, wie die SPD die Bürger enttäuscht. Seine Voraussage, die SPD werde eine Kampagne nach dem Motto starten „Wollt ihr den totalen CDU-Staat?“ ist dagegen nicht nur abwegig, weil sich im Wettbewerb demokratischer Parteien Anleihen an Joseph Goebbels verbieten. Sie ist auch dumm, weil sie in der Union eine Angst und damit alle bestärkt, die meinen, der Bundestagswahlkampf ließe sich als bloße „Frustbeute“ am besten gewinnen.

Das sind ziemlich viele mit unterschiedlichen Ambitionen und Argumenten. Bei Stoiber oder Seehofer ist es die tiefsitzende Mentalität der christlich-sozialen Führer einer Volkspartei, die immer mindestens so nah bei den „kleinen Leuten“ war wie die SPD. Beim Arbeitnehmerflügel der CDU das traditionelle Verständnis von Sozialstaat und Gerechtigkeit. Bei Jürgen Rüttgers oder Peter Müller kommen die taktischen und kurzfristigen Motive von Landes-Wahlkämpfern hinzu. Kopfpauschalen und gar kein Kündigungsschutz – entscheiden sich dann nicht doch viele wieder für das kleinere Übel SPD?

Frustbeute oder Alternativen, das ist für die Union die Frage. Merkel, Merz, Koch und Wulff liegen richtig, wenn sie vermuten, dass es in zwei Jahren nicht reichen wird, alles auf die Karte der Schröder-Enttäuschung zu setzen. Mit der stillen Suggestion, man könne das Reform-Rad zurückdrehen, kann vielleicht die PDS arbeiten, niemals aber die Union. 2006 entscheiden die Bürger nicht mehr – wie in diesem Jahr – frisch schockiert über angekündigte unangenehme Reformen, sondern aus der Erfahrung mit tatsächlich erlebten. Wie groß die Akzeptanz dann sein wird, kann niemand vorhersehen. Aber es steht einigermaßen fest: Eine große Mehrheit wird davon ausgehen, dass auf diesem Weg keiner mehr umkehren kann, wohl aber einiges besser und tragfähiger gemacht werden müsste.

Es wird ein Wahlkampf mitten im Reformprozess. Es ist ein Oppositionsprivileg, laut zu streiten. Die Union sollte es nutzen – für ihren Erfolg. Die Bürger können sich nur wünschen, dass sie, anders als 2002, wissen, woran sie bei den Volksparteien ist. Der SPD könnten die zankenden Schwesterparteien ein Quäntchen Frustbeute großmütig gönnen. Denn es muss vermutet werden, dass die Regierung auch einer Union mit klaren Alternativen davon immer noch genug frei Haus liefern wird, durch Fehler, Pech und Pannen.

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