Politik: Iran: Zensur statt Liberalisierung
Es sollte ein entscheidender Tag für das im Juni neu konstituierte iranische Parlament werden. Als ihre erste wichtige Maßnahme hatten sich die reformorientierten Abgeordneten, die 200 der 290 Sitze innehaben, die Liberalisierung des Pressegesetzes zum Ziel gesetzt.
Es sollte ein entscheidender Tag für das im Juni neu konstituierte iranische Parlament werden. Als ihre erste wichtige Maßnahme hatten sich die reformorientierten Abgeordneten, die 200 der 290 Sitze innehaben, die Liberalisierung des Pressegesetzes zum Ziel gesetzt. Doch der "Geistliche Führer", Ayatollah Chamenei, stoppte die Diskussion. "Wenn die Feinde unsere Presse infiltrieren, brächten sie damit die Sicherheit unseres Landes und die religiösen Überzeugungen unseres Volkes in große Gefahr", argumentierte Chamenei in einem Brief, den Parlamentssprecher Kharrubi vor Beginn der geplanten Debatte im Parlament verlas. "Das (gegenwärtige) Pressegesetz hat diese große Seuche verhindert. Der Gesetzesentwurf ist nicht legitim und steht nicht im Interesse des Systems und der Revolution."
Die Worte des "Führers" lösten unter den Abgeordneten große Empörung aus. Es kam zu Handgreiflichkeiten, und einige Deputierte verließen unter Protest das Parlamentsgebäude. Resigniert hatte sich der Reformer und Linksislamist Kharrubi in die von Chamenei verordnete Blockierung eines parlamentarischen Prozesses gefügt und die Abgeordneten an die Grundprinzipien der "Islamischen Republik" erinnert: "Unsere Verfassung sieht die Elemente der absoluten Herrschaft des höchsten geistlichen Führers vor, und ihr alle wisst dies und stimmt (diesem Prinzip) zu. Wir sind alle verpflichtet, diese Regeln einzuhalten."
Damit bekannte sich Kharrubi zu einem der Tabus der "Islamischen Republik", an die sich besonders mutige Reformer in jüngster Zeit immer wieder heranwagten und deshalb auch Redeverbot, Hausarrest oder Gefängnisstrafen erhielten. Die Frage nach der Machtposition des "Führers" ist das größte Problem, das die "Islamische Republik" auf ihrem Weg der Reform eines Tages zu lösen hat: Entweder ist der "Führer" der absolute Herrscher, von Gott erwählt und unantastbar, oder er ist von Menschen gewählt und sollte auch sich den Regeln von Verfassung und Gesetz beugen. "Im Iran bringt die Mehrheit der Wählerstimmen nicht notwendigerweise Macht", analysierte Mohammed Reza Chatami, Bruder des Präsidenten und Führer des größten Reformblocks im Parlament.
Die Reformer fühlen sich ihren Versprechen dem Volk gegenüber verpflichtet. Doch welcher Weg ihnen nun zur Liberalisierung der Presse offen bleibt, ohne sich dem Grundprinzip der "Islamischen Republik" - der absoluten Autorität des "Führers" - zu widersetzen, erscheint völlig unklar.
Den Turbulenzen im Parlament ging die Verhaftung des hochpopulären Reformgeistlichen Hasan Youssefi Eshkevari am Samstag voran. Eshkevari war nach mehrwöchigem Aufenthalt in Europa in den Iran heimgekehrt. Eshkevari, ein Verfechter der Trennung von Staat und Religion, zählt zu der Gruppe prominenter Reformer, die im April an einer von exil-iranischen Oppositionellen gewalttätig gestörten Iran-Konferenz in Berlin teilgenommen hatten. Alle aus dem Iran angereisten Intellektuellen waren wegen Diffamierung des Islams entweder verhaftet oder zu Verhören geladen worden. Im Gefängnis sitzen immer noch der Publizist Akbar Ganji, der Verleger Ezatollah Sahabi und der Dolmetscher Khalil Rostamkhani.
Zugleich wurde am Wochenende das Satiremagazin "Tavana" wegen "diffamierender Artikel gegen Regierungsbeamte" geschlossen. Es ist die 22. reformoriertierte Publikation, die seit April ihr Erscheinen einstellen musste. Der Schlag gegen die Medien und Chameneis Blockade der Pressereform sind die stärksten Waffen der Konservativen gegen die Reformer. Unter diesen Voraussetzungen dürfte es Präsident Chatami immer schwerer fallen, Frustrationen und Ungeduld unter den ungegagiertesten seiner Anhänger - von den Gegnern oftmals als "Ultra-Reformer" bezeichnet - zu zähmen und sie auch weiterhin vom Weg der Gewalt abzuhalten.
Birgit Cerha