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Bruno Jost ermittelte monatelang das Versagen der Behörden im Fall Amri. Reichte sein kritischer Bericht nicht?

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Terror in Deutschland: Islamismus: Der verkannte Ernst der Lage

Der Anschlag vom Breitscheidplatz hat klar gemacht: Auch Deutschland ist Ziel der Islamisten. Was folgte? Ausreichend Personal für die Abwehr? Nein, es folgten Untersuchungsausschüsse. Eine Analyse

Von Frank Jansen

Es war eine Zäsur, die Deutschland nicht vergessen wird. Mit der sich bis heute Politik und Sicherheitsbehörden auseinandersetzen müssen, in Untersuchungsausschüssen und in der Konfrontation mit einer kritischen Öffentlichkeit. Der Anschlag des Tunesiers Anis Amri am 19. Dezember 2016 in Berlin hat die Republik verändert. Und ihren Blick auf das Phänomen des islamistischen Terrors, das bis dahin Deutschland nur zu streifen schien. Das war schon vor der Todesfahrt mit dem Lkw über den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz eine falsche Bewertung. Heute erscheint die alte Sichtweise fatal, auch zynisch.

Bereits 2011 starben am Frankfurter Flughafen zwei US-amerikanische Soldaten. Der Täter, der junge Kosovare Arid Uka, schoss gezielt in einen Bus der Army und verletzte zwei weitere Soldaten schwer. Doch Politik und Öffentlichkeit zeigten sich nur mäßig berührt – weil die Toten keine Deutschen waren? In der Rückschau erscheint die weitgehende Ignoranz gegenüber dem Anschlag in Frankfurt  wie ein böses Omen zu den Versäumnissen der Sicherheitsbehörden im Fall Anis Amri.

Mit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin wurde Deutschland auf tragische Weise in die Liste der europäischen Staaten katapultiert, die im Inland von islamistischen Attacken mit einer mindestens zweistelligen Zahl von Opfern getroffen wurden - Madrid 2004 mit 191 Todesopfern, London 2005 mit 52, Paris 2015 mit 148 Toten bei gleich zwei Großangriffen. Ist Deutschland nun nach der Todesfahrt von Anis Amri mental stärker auf den Terror von Dschihadisten vorbereitet? Zumal im Ausland, das wird in der Republik kaum wahrgenommen, seit 1990 mehr als 120 Bundesbürger von Islamisten getötet wurden.

Bei den Abschiebungen ist ein Anfang gemacht

Mit einem klaren „Ja“ lässt sich die Frage nicht beantworten. Auf den Anschlag von Anis Amri reagierten Politik und Behörden teilweise entschlossen, teilweise mit den üblichen Ritualen. Einige Bundesländer setzen jetzt energisch die Abschiebung terroristischer Gefährder in ihre Heimatländer um und verringern damit ein wenig die Gefahr weiterer Anschläge. Größere Zahlen abgeschobener Gefährder sind aber wegen rechtlicher Probleme nicht zu erwarten. Die betroffenen Islamisten setzen sich mit ihren Anwälten in Deutschland zu Wehr, außerdem stellen sich manche Heimatländer von Gefährdern taub und verweigern die Aufnahme ihrer militanten Landsleute. Aber immerhin ist bei den Abschiebungen ein Anfang gemacht.

Auf den Anschlag von Anis Amri folgten allerdings auch die üblichen parlamentarischen Rituale. Die Parlamente von Nordrhein-Westfalen und Berlin setzten Untersuchungsausschüsse ein, der Bundestag zieht jetzt nach. Grundsätzlich ist gegen eine Aufklärung von Versäumnissen der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern im Fall Amri nichts einzuwenden. Fehler müssen erkannt und benannt werden, um einer Wiederholung und damit einem fahrlässigen Hineinschlittern in den nächsten Anschlag vorzubeugen. Doch die Untersuchungsausschüsse haben auch einen ambivalenten Effekt.

Die Behörden, vor allem Polizei und Verfassungsschutz, müssen Personal abstellen, das den untersuchenden Parlamentariern zuarbeitet. Die Ausschüsse fordern große  Menge Akten an und erwarten, dass die Behörden während der jahrelangen Befragungen und Beratungen in Landtagen und Bundestag aufwändig und umfassend zur Verfügung stehen. Gebunden sind so vor allem Terrorismusexperten, die für die Abwehr der Terrorgefahr dringend gebraucht werden. Das ist potenziell riskant.

Das Personal in den Sicherheitsbehörden hat in puncto Terrorismus längst die Schmerzgrenze zur Überlastung erreicht. Einige Zahlen verdeutlichen, womit Polizei, Verfassungsschutz und Justiz konfrontiert sind. Im Jahr 2017 leitete die Bundesanwaltschaft rund 1200 Terrorverfahren ein. Die meisten, ungefähr 1000, mit Bezug zum militanten Islamismus. Zum Vergleich: im Jahr 2016 waren es insgesamt 250 neue Verfahren, davon 200 mit islamistischem Hintergrund. Und das sind nur die Zahlen der Behörde in Karlsruhe.

Der Bericht von Sonderermittler Jost war bereits ergiebig

Die Staatsanwaltschaften in den Bundesländern müssen ebenfalls mit einem gewaltigen Anstieg der Terrorverfahren zurechtkommen. Wenn dann noch ein Untersuchungsausschuss hereinhagelt, wird das Dilemma  weiter verschärft, trotz begrenzter Ressourcen dem rapide wachsenden Terrorproblem mit größtmöglicher Effektivität begegnen zu müssen. Und das gilt nicht nur für die Bundesanwaltschaft und ihre Kollegen in den Ländern, sondern zwangsläufig auch für Bundeskriminalamt und Landeskriminalämter sowie für den Verfassungsschutz in Bund und Ländern.

Da zwingt sich die Frage auf, ob die Republik sich drei Untersuchungsausschüsse zum Fall Amri leisten muss, zumal in Berlin bereits ein Sonderbeauftragter des Senats, der frühere Bundesrichter Bruno Jost, nach monatelangen Recherchen einen detailreichen und schonungslosen Untersuchungsbericht vorgelegt hat. Und so stellt sich auch wieder die Frage nach der Mentalität in Zeiten des Terrors.  

Ist Deutschland wirklich bewusst, dass der Kampf gegen den „Islamischen Staat“, Al Qaida und die vielen weiteren Banden höchsten Einsatz erfordert? Dass bei den  Sicherheitsbehörden eine zusätzliche Belastung, seien sie wie ein aufwändiger Untersuchungsausschuss auch politisch legitim, auf Kosten der Wachsamkeit gehen könnte? Und dass die Aufstockung des Personals bei Polizei, Nachrichtendiensten und Justiz kontinuierlich fortgesetzt werden muss, soll der Staat auch nur einigermaßen Schritt halten mit dem rapiden Wachstum des Spektrums der Gefährder und der sie umwabernden, hochgradig fanatischen Salafistenszene?

Schon ein Detail lässt zweifeln, dass die Republik den Zustand, nur bedingt abwehrbereit zu sein, wirklich verlassen will. Allein in Berlin hat es die Polizei mit ungefähr 100 Gefährdern zu tun. Rund um die Uhr observieren kann die stark belastete Behörde, sagt jedenfalls die Gewerkschaft der Polizei, nur zwei bis drei.

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