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Erst drohte Bennett mit dem Ausstieg aus der Regierung, nun sagt er: "Wir ziehen all unsere politischen Forderungen zurück".

© REUTERS/Amir Cohen

Israel: Zu hoch gepokert

Israels Bildungsminister Bennett lenkt überraschend ein und will Netanjahus Regierung weiter unterstützen.

Als die Vorsitzenden der Siedlerpartei Habayit Hajehudi, Naftali Bennett und Ajelet Shaked, am Montagvormittag vor die Presse treten, erreicht das seit Tagen anhaltende innenpolitische Drama einen überraschenden Höhepunkt: Entgegen aller Erwartungen und trotz Drohungen im Vorfeld verkündet Naftali Bennett, nicht aus der Regierung aussteigen zu wollen.

Es wird in Israel vorerst doch keine Neuwahlen geben. Damit hatte kaum einer der politischen Beobachter gerechnet. Im Gegenteil: Das Land war bereits dabei, sich – zumindest gedanklich – auf Neuwahlen vorzubereiten. Schließlich hatte Bildungsminister Bennett in den Tagen zuvor deutlich gemacht, dass er keine Zukunft für die Regierung sieht, die nicht mehr rechts genug sei und mit einer hauchdünnen Mehrheit mit 61 von 120 Sitzen auch nicht mehr stark genug. Obendrein hatte Bennett das frei gewordene Amt des Verteidigungsministers nicht bekommen, für das er vehement gekämpft hatte. Seine Partei hatte im Vorfeld gar angekündigt, aus der Koalition auszusteigen, sollte Bennett leer ausgehen.

Er und seine Partei hatten geschimpft, gepoltert, gedroht – und offenbar zu hoch gepokert im Machtspiel mit Premierminister Benjamin Netanjahu. Nun folgte die 180-Grand-Wende: "Wenn der Premierminister es ernst meint, und ich möchte seinen Worten von gestern Abend glauben, dann sage ich hier zum Premierminister: Wir ziehen all unsere politischen Forderungen zurück und stehen Ihnen bei dieser gewaltigen Aufgabe zur Seite, damit Israel wieder damit beginnt, zu siegen", sagte Bennett. Er verzichtete auf das Amt des Verteidigungsministers und bekundete seinen Willen, es noch einmal mit Netanjahu zu versuchen.

Der Premier selbst war am Vorabend vor die Presse getreten – pünktlich zu Beginn der 20-Uhr-Nachrichten, um live auf allen Kanälen für das Überleben seiner Koalition zu kämpfen. Er verkaufte sich in der Rolle, in der er sich am liebsten sieht: als "Mr. Security", der der große, einzige Sicherheitsgarant des Landes. Das Amt des Verteidigungsministers hat er nun gleich selbst übernommen. Falsch und unverantwortlich wäre es, Neuwahlen herbeizuführen in "einer unserer schwierigsten Zeiten für die Sicherheit", sagte Netanjahu. Die Sicherheit des Landes stehe über allem anderen und er, Netanjahu, wisse "wann und was es zu tun gilt" in Zeiten einer Krise, in der man nicht politische Spielchen spiele. Kritik an seiner Gaza-Politik, die in den vergangenen Tagen nicht nur von Bennett, sondern auch aus der Bevölkerung zu hören war, wies er zurück. "Sie sehen nur einen Teil des Bildes einer andauernden Operation, in der wir uns befinden", erklärte er. "Ich werde heute Abend nicht sagen, wann wir agieren und was wir tun werden. Aber ich habe einen klaren Plan".

Seine Gaza-Politik hatte die Regierungskrise ausgelöst: Zunächst trat am Mittwoch Verteidigungsminister Avigdor Lieberman aus Protest gegen die mit der Hamas erzielte Waffenruhe zurück. Er nannte diese eine "Kapitulation gegenüber dem Terror". Zuvor war nach einer missglückten Geheimdienstoperation der israelischen Armee im Gazastreifen die Sicherheitslage eskaliert, mehr als 400 Raketen wurden von dort abgeschossen, Israel reagierte mit dem Beschuss von Zielen im Küstenstreifen. Da Lieberman auch den Ausstieg seiner Partei Yisrael Beitenu aus der Koalition ankündigte, geriet die Regierung in der Knesset ins Wanken.

Mit Bennetts Rückzieher scheinen Neuwahlen erstmal abgewendet. Ohne Folgen dürfte sein Auftritt dennoch kaum bleiben. Auch am Montag blieb er bei seiner Kritik an der Verteidigungspolitik Israels und seiner Forderung, einen anderen Kurs einzuschlagen: Der Staat Israel hätte aufgehört, zu siegen. Er kritisierte, die Armee sei zu besorgt über die Rechtmäßigkeit der Kriegsführung, israelische Soldaten hätten größere Angst vor dem militärischen Generalanwalt als vor Hamasführer Yahya Sinwar in Gaza. Drastische Worte, die sogar Armeechef Gadi Eisenkot wenig später kritisierte – was ungewöhnlich ist, in politische Angelegenheiten mischt er sich sonst nicht ein. Dennoch wird Netanjahu es kaum zulassen, vom ambitionierten nationalreligiösen Bennett und seiner Siedlerpartei rechts überholt zu werden. Die kommenden Wochen dürften auch ohne Neuwahlen spannend bleiben.

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