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Kaffee trinken mit den Islamisten: Vertreter westlicher Staaten bei den Gesprächen im katarischen Doha.

© Karim Jaafar/AFP

Der Westen und Afghanistans Machthaber: Ist es sinnvoll, mit den Taliban zu reden?

Die USA und Europa führen Gespräche mit den Taliban. Doch ist das zweckmäßig? Ja, sagt Experte Christian Wagner. Hier erklärt er, warum.

Christian Wagner ist Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik. Als Senior Fellow in der Forschungsgruppe Asien kümmert er sich um Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Herr Wagner, Europäer und Amerikaner reden wieder mit den Taliban. Ist das sinnvoll oder Zeitverschwendung?
Das ist schon sinnvoll. Es gibt ja noch eine große Anzahl ausländischer Staatsbürger, die sich in Afghanistan aufhalten. Darunter sind Deutsche, Europäer, Amerikaner und deren Ortskräfte. Und die sollen möglichst aus dem Land herausgeholt werden.

Aber auch die Taliban haben großes Interesse an derartigen Gesprächen, weil die wirtschaftliche Lage in Afghanistan katastrophal ist. Deshalb sind die Islamisten – jenseits dringend benötigter humanitärer Hilfe – daran interessiert, reguläre Beziehungen mit der Staatengemeinschaft aufzunehmen.

Die Taliban haben in der Vergangenheit schon mehrfach Vereinbarungen gebrochen. Sind sie jetzt ein vertrauenswürdiger Verhandlungspartner?
Es bleibt immer die große Herausforderung, die Taliban dazu zu bringen, ihre Zugeständnisse einzuhalten. Der Westen steht allerdings auch vor dem Problem, eine geschlossene Linie gegenüber den neuen Machthabern in Kabul zu finden.

Es besteht immer die Gefahr, dass sich die Taliban Ländern wie China und Russland zuwenden. Von Peking und Moskau brauchen sie keine Forderungen nach Menschen- und Frauenrechten zu fürchten.

Können die USA und Europa den Taliban etwas bieten, das über Geld hinaus geht?
Es geht schon um finanzielle Anreize. Die Mittel für Afghanistan vom Währungsfonds oder der Weltbank sind für die Taliban bisher nicht zugänglich, weil sie immer noch als terroristische Gruppe eingestuft sind. Deshalb haben die Islamisten großes Interesse, von den Sanktionslisten gestrichen zu werden.

Millionen Afghaninnen und Afghanen sind verarmt und hungern. Vor allem Kinder leiden.
Millionen Afghaninnen und Afghanen sind verarmt und hungern. Vor allem Kinder leiden.

© Bulent Kilic/AFP

Die USA betonen ebenso wie die EU, dass der Austausch mit den Taliban keine Anerkennung der neuen Machthaber bedeute. Ist das Wunschdenken oder die Realität?
Noch ist es Realität. Aber mittelfristig wird sich die Frage nach der Anerkennung stellen. Vor allem Staaten wie Pakistan, China, Russland, aber auch einige Golfmonarchien könnten großes Interesse entwickeln, mit dem Regime in Kabul zusammenzuarbeiten. Deshalb braucht der Westen eine gemeinsame Linie, wie mit dieser Frage umzugehen ist.

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Die Verhandlungen finden in Katars Hauptstadt Doha statt. Welche Rolle möchte das Emirat spielen?
Auf jeden Fall eine wichtige. Bereits in der Vergangenheit war Katar der Ort, an dem die Taliban mit Vertretern des Westens zusammenkamen. Der Wüstenstaat will sich auch weiterhin als Makler einen Namen machen.

Wie gesichert ist die Herrschaft der Taliban über Afghanistan überhaupt zwei Monate nach der Machtübernahme?
Sie scheint weitgehend gefestigt zu sein. Es gibt zwar immer wieder zum Teil verheerende Anschläge des „Islamischen Staats“, auch in Kabul. Aber sein Hauptoperationsgebiet hat er IS im Osten Afghanistans. Eine unmittelbare Bedrohung für die Taliban sehe ich jedenfalls nicht.

Und nicht zu vergessen: Im Kampf gegen den IS können die afghanischen Fundamentalisten mit der Unterstützung anderer Länder rechnen. Vor allem die Nachbarstaaten haben großes Interesse daran, dass die Taliban erfolgreich gegen den „Islamischen Staat“ vorgehen.

Christian Wagner ist Asien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Christian Wagner ist Asien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik.

© Stiftung Wissenschaft und Politik SWP

Afghanistans wirtschaftlicher Kollaps ist für die Herrschaft der Taliban eine wesentlich größere Bedrohung?
Ja, das ist die bedeutendere Herausforderung. Die Taliban waren bisher eine Aufstandsbewegung – jetzt müssen sie ein Land regieren. Die entscheidende Frage lautet: Wie findet man ein Wirtschaftssystem, das in der Lage ist, den Staat zu finanzieren?

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Droht ein Aufstand oder gar ein Bürgerkrieg, wenn die Islamisten dieses Problem nicht in den Griff bekommen?
Ich sehe keine nennenswerten Gegenkräfte. Eher ist vorstellbar, dass es innerhalb der Taliban zu Verwerfungen kommt. Sie sind ja keine homogene Bewegung, sondern setzen sich aus unterschiedlichen Milizen und Stämmen zusammen. Einzelne Gruppen könnten sich abspalten. Und eine säkulare Opposition spielt gegenwärtig keine nennenswerte Rolle mehr.

Heißt das, der Westen muss sich mit den Taliban als Afghanistans neuen Herrschern auf Dauer arrangieren?
Davon gehe ich aus. Zum einen, um die desaströse wirtschaftliche Lage im Land zu verbessern. Zum anderen: Nur wenn es eine Verständigung mit den Taliban gibt, in welcher Form auch immer, haben Europäer und Amerikaner einen Hebel in der Hand, um sich für Menschen- und Frauenrechte einzusetzen. Das allein ist schon schwierig genug.

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