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Krankenhausmitarbeiter holen mit einer Bahre einen covid-kranken Menschen in Neapel für den Transport ins Krankenhaus ab.

© Gregorio Borgia/dpa

Zweite hohe Corona-Welle: Italien hat Hoffnung auf festliches Weihnachten schon aufgegeben

Italien erlebt eine harte zweite Welle der Pandemie. Alle Regionen bis auf das kleine Molise gelten als Hochrisikogebiete.

Italien erlebt gerade die zweite hohe Welle der Covid-Pandemie und – schlimmer noch – stellt sich fürs neue Jahr auf eine dritte ein.

Am Wochenende waren alle Regionen bis auf das kleine Molise offiziell zu Hochrisikogebieten erklärt worden und in den Roten Zonen mit den höchsten Krankenzahlen und Ansteckungsziffern sind wieder praktisch alle Maßnahmen in Kraft, die Italien bereits seit Februar und März lahmlegten: Dort dürfen die Menschen ihre Wohnungen nur aus wenigen akzeptierten Gründen verlassen – Arbeit, Einkauf, Arzt- oder Apothekenbesuche und die Pflege bedürftiger Angehöriger.

Einkaufszentren und die meisten kleinen Einzelhandelsgeschäfte mit Ausnahme von Lebensmittelhandel und den Gemüse- und Obstständen auf den Märkten, sind geschlossen. Sport ist nur noch im Freien, in Wohnungsnähe und allein möglich.

Selbst die Schulen sind teils im Lockdown: Nur jüngere Kinder im Grundschulalter und Jugendliche bis zur Mittelschule bekommen Unterricht, die Älteren müssen sich mit Videostunden oder Ferien abfinden. Etwas weniger hart die Auflagen für die orangefarbenen und gelbenZonen.

In der Lombardei doppelt so viele Tote in 24 Stunden

Die höchste Alarmstufe Rot wurde am vergangenen Wochenende für zwei weitere Regionen ausgerufen, die Toskana und Kampanien, das Hinterland von Neapel. Die Karte Italiens färbt sich, anders als noch während der ersten Covid-Welle, inzwischen von Nord nach Süd rot: Schon länger in der meistgefährdeten Kategorie ist neben dem Piemont, dem Aostatal und Südtirol auch Kalabrien, die Spitze des italienischen Stiefels.

Einst wie jetzt an der traurigen Spitze: die Lombardei. Von der Schreckenszahl von inzwischen mehr als 46.000 Toten entfallen fast 20.000 auf das industrielle Herz des Landes, die Region rings um den Ballungsraum von Mailand, eine der reichsten und produktivsten Europas. Gerade dort dürfte selbst bei größter Strenge die ausdrückliche Ausnahme „Arbeit“ ein wesentlicher Ansteckungsfaktor sein.

Die lombardischen Arbeitsplätze finden sich nicht in Homeoffices, sondern in Fabrikhallen, entlang der Fertigungsstraßen in großen, aber auch kleinen und mittleren Produktionsbetrieben. Schon im Frühjahr stellte sich durch Auswertung von Telefondaten heraus, dass selbst auf dem Höhepunkt des Lockdowns immer noch 40 Prozent der Menschen unterwegs waren.

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Doch ausgerechnet die Regionalregierung der Lombardei hat es eilig, die Rote Zone zu verlassen – jedenfalls die zugehörigen Maßnahmen. Sie machte zusammen mit Piemont bei einem Treffen der Regionen – den deutschen Ländern vergleichbar – Druck auf Rom, die Zahl der Kriterien für einen roten Lockdown von 21 auf fünf zu reduzieren. Noch am Abend desselben Tages verdoppelte sich die 24-Stunden-Zahl der lombardischen Covid-Toten von 99 auf 202.

Die Regierung hatte am 4. November jenes Gefahrenmanagement beschlossen, das abgestufte Maßnahmen je nach Lage vorsah, die Einteilung in rote, orange und gelbe Zonen. Auch in der Kategorie Orange steigt die Zahl der Mitglieder; am Wochenende kamen die Emilia-Romagna, Friaul-Julisch Venetien mit seiner Hauptstadt Triest und die Marken hinzu. Gelb und damit vergleichsweise besser gestellt sind Venetien, die Gegend um Venedig, Roms Umland Latium, Sardinien und die Autonome Provinz Trient.

"Vergesst die Festessen!"

Es war der Versuch, dem Runterfahren des ganzen Landes wie im Frühjahr ein System flexibler Eingriffe entgegenzusetzen, wie es auch in Deutschland immer wieder diskutiert wird. Gerade warnte Finanzminister Roberto Gualtieri: „Einen neuen Lockdown werden wir nicht aushalten können.“
Doch nicht nur breitet sich die Seuche weiter aus. Inzwischen ist auch die kritische Zahl von einem Prozent Infizierter in der Bevölkerung erreicht, den vor wenigen Wochen Franco Locatelli, einer der medizinischen Berater Contes als den Punkt benannte, an dem das ganze Gesundheitssystem außer Kontrolle gerate.

Wenn es denn Hoffnungszeichen gibt, dann sind es wenige: So ist der berüchtige R-Faktor gesunken, der angibt, wie viele weitere Menschen ein oder eine Infizierte ansteckt. Er lag am 8. November noch bei 1,43, ist aber nach Angaben des Gesundheitsministeriums jetzt auf knapp über eins gefallen. Fachleute sehen das als Erfolg des abgestuften Farben-Lockdowns, der bis 3. Dezember gelten soll.

Dass Italien entspannt Weihnachten feiern wird, ist kaum zu erwarten – und maßgebliche Köpfe bereiten die Landsleute längst darauf vor. „Vergesst die Festessen“", ruft Massimo Galli, Virologe und Chef der Mailänder Sacco-Klinik, ihnen zu. Etwas detaillierter buchstabierte Conte den Verzicht aus: Die Küsse und Umarmungen an Heiligabend, der Festschmaus mit Puter und der beliebten Tombola, Italiens volkstümlicher Monopoly-Variante, nach dem Dessert: Daraus werde dieses Jahr wohl definitiv nichts, meinte der Premier.

Conte selbst muss aktuell auch um die Gaben aus Brüssel zittern: Am Montag schickten er und Finanzminister Gualtieri ein 38-Milliarden-Programm auf den parlamentarischen Weg. Geplant sind Verbesserungen im Gesundheitswesen, Hilfen für Unternehmen und Familien, auch Italiens besonders niedrige Frauenerwerbsquote will man ankurbeln. Dazu braucht Rom die Solidarität Europas. Doch am selben Tag verkündeten in Brüssel Ungarn und Polen ihr Veto zum europäischen Krisenhaushalt.

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