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Kampf gegen die Einsamkeit: Paus will helfen, ist aber viel zu langsam
Mit einer neuen Datengrundlage will die Bundesregierung gegen Einsamkeit im Land vorgehen. Was fehlt, sind aber keine Daten, sondern greifbare Angebote.

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Einsamkeit ist allgegenwärtig. Da ist zum Beispiel ein Seniorenheim in Berlin-Schöneberg. Abends flackern hinter vielen gardinenverhangenen Fenstern die Fernsehbildschirme. Davor jeweils ein älterer Mensch auf dem Sofa. Auf einem der Balkone sitzt ein Rentner. Alleine. Bis es dunkel wird.
In der S-Bahn starrt ein Kind aufs Handy, scrollt rasant durch TikTok-Videos, deren aggressive Lautstärke leicht über die Tatsache hinwegtäuschen kann, dass da niemand neben ihm sitzt, mit dem es sprechen könnte.
Sind diese Menschen einsam? Das können sie am Ende nur selbst beurteilen. Einsamkeit gilt als Mangel an Beziehungen. Sie tritt auf, wenn der Kontakt zu anderen Menschen in Ausmaß oder Tiefe nicht genügt. Vielleicht genießt der Rentner auf dem Balkon auch einfach seine Ruhe.
Einsamkeit lässt Menschen verkümmern.
Stefanie Witte
Klar ist: Einsamkeit ist eine Volkskrankheit. Sie betrifft alle Altersgruppen, manche mehr als andere. Ältere, und spätestens seit Corona auch Jüngere, sind besonders gefährdet. Außerdem Alleinerziehende, Pflegende, arme Menschen und solche mit Migrationsgeschichte.
Laut Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung fühlt sich rund ein Drittel der jungen Erwachsenen in Deutschland mindestens teilweise einsam. Hinter der abstrakten Zahl verbirgt sich eine Lebensrealität, die sich Nicht-Betroffene häufig kaum vorstellen können. Einsamkeit lässt Menschen verkümmern, schränkt sie in ihrer Entfaltung ein, überschattet so manches Leben mit Traurigkeit bis hin zur Verzweiflung.
Idealistisches Ziel?
Sollte nun der Staat wirklich für die seelische Verfassung seiner Bürger zuständig sein? Wer das in Frage stellt, muss wissen: Einsamkeit schlägt nicht nur aufs Gemüt. Sie macht messbar krank, trägt zu Schlaganfällen und Herzinfarkten bei, verstärkt Schmerzen, kann Depressionen begünstigen. Manche argumentieren sogar, der massive Zuspruch für die AfD resultiere weniger aus rationalen Erwägungen als vielmehr aus einer grundlegenden Unzufriedenheit.
So weit muss man nicht gehen. Aber: Der Mangel an Beziehungen kann zu einer Bedrohung für Wirtschaft und Demokratie werden, zumal in einer alternden Gesellschaft. Da könnte man meinen, es sei hilfreich, wenn die Bundesfamilienministerin nun ankündigt, gezielt dagegen vorgehen zu wollen. Ein sogenanntes Einsamkeitsbarometer soll den aktuellen Stand abbilden und Reaktionen ermöglichen.

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Ein Barometer dient dazu, den Luftdruck zu messen. Der Druck, den Einsamkeit auf die deutsche Gesellschaft ausübt, ist aber längst vielfältig vermessen. Der wissenschaftliche Markt ist voll von Statistiken, Statusbeschreibungen und Strategieangeboten.
Schon vor mehr als zwei Jahren startete das sogenannte Kompetenznetzwerk Einsamkeit, das Wissen und Angebote überregional bündeln soll – finanziert vom Familienministerium. Es darf bezweifelt werden, dass der Rentner auf seinem Balkon oder das Kind in der S-Bahn davon schon mal gehört haben.
Es braucht nicht in erster Linie weitere Daten, um zielgerichtet gegen Einsamkeit vorzugehen. Als Nächstes ist dann eine Aktionswoche geplant. Schön und gut; Sichtbarkeit schadet nicht. An den Angeboten vor Ort jedoch ändert all das erst mal nichts. Dabei wäre genau das wichtig.
Nur menschliche Begegnung hilft
Denn gegen Einsamkeit hilft letztlich nur die persönliche Begegnung. Abstrakt bedeutet das Niederschwelligkeit, Dezentralität, Attraktivität. Konkret sind es Besuchsdienste, der Einkauf für ältere Menschen, in dessen Zuge man ein paar Worte wechselt. Das kann der offene Stammtisch sein, ein Nachbarschaftsfest, die Ehrenamtsbörse, Vereine, Chöre. Am Ende kann Einsamkeit nur vor der eigenen Haustür wirksam bekämpft werden.
Was hilft es, wenn eine Bundesfamilienministerin das Thema ernst nimmt, der Bürgermeister einer ländlichen Gemeinde aber nicht? Warum kein Einsamkeitsgipfel zusammen mit Vertretern der Kommunen? Jede Gemeinde und insbesondere jede Stadt, in der Anonymität Einsamkeit fördert, kann Angebote schaffen, einen Rahmen setzen.
Insofern ist das Thema bei der Familienministerin nicht ganz falsch aufgehoben. Aber am Ende zählt, ob der Rentner auf seinem Balkon mindestens die Wahl hat, zum offenen Nachbarschaftsstammtisch um die Ecke zu gehen oder das Alleinsein zu genießen.
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