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Barbara Kuchler fordert, dass es entweder "Kartoffelsäcke" oder körperbetonte Kleidung für alle Geschlechter geben solle.

© Getty Images/iStockphoto

Matthies meint: Kartoffelsäcke gegen Schönaussehen

Die Soziologin Barbara Kuchler hat auf dem Kirchentag gefordert, Kleidung von Frauen und Männern anzugleichen. Was unser Kolumnist davon hält. Eine Glosse.

Eine Glosse von Lars von Törne

Es ist Kirchentag, Wellness für die christliche Seele nach dem Motto „Liebet eure Feinde, außer, sie stehen rechts von Angela Merkel“. Trotzdem ist ein weites Spektrum an Meinungen zugelassen, sogar von solchen, die es bislang noch gar nicht gab. Stellvertretend sei dafür der Auftritt der Soziologin Barbara Kuchler erwähnt, der sogar von der Agentur epd kommuniziert wurde. Sie hat nämlich in Dortmund die Modeindustrie aufgefordert, die Kleidung von Männern und Frauen anzugleichen: Entweder „Kartoffelsäcke für alle“ – oder enge, körperbetonte Sachen für alle Geschlechter, m/w/d.

Eine Reaktion der Modeindustrie ist bisher nicht bekannt. Wenn Sie aber mich fragen: Ich wäre für die Kartoffelsäcke. Denn wenn der christliche Herrgott das Maurerdekolleté, das MottoT-Shirt, alles mit Einhörnern und Pailletten sowie gleich auch die Trekkingsandale mit und ohne Öko-Socke vom Erdboden tilgen würde, wäre das in ästhetischer Richtung ein Riesenschritt.

Widerspruch gegen Aussage, aufgestylte Frauen dürften sich über „Grabschereien“ nicht wundern

Die Soziologin, das liegt in der Natur ihrer Disziplin, hat natürlich komplexere Motive. Sie kritisiert, dass den Frauen „die gesellschaftliche Hauptverantwortung fürs Schönaussehen“ auferlegt sei, und das müsse sich nun ändern. Dann kommt noch ein Satz von ihr, den ich eher im spätviktorianischen England angesiedelt hätte, nämlich, dass Frauen sich nicht wundern dürften, dass es zu „Grabschereien“ komme, wenn sie sich schminken, ihre Augenbrauen zupfen und enge Kleidung tragen. Steht so in der Agenturmeldung, das hat die Soziologin gesagt.

Die Generation Alice Schwarzer hätte auf solche Äußerungen mit taktischen Atomschlägen reagiert; auf dem friedfertigen Kirchentag wurde, immerhin, Widerspruch laut. Aber was ist da los? Der neue Puritanismus kommt im gegenderten Kartoffelsack, das ist offensichtlich, aber er berücksichtigt im Gegensatz zum radikalen Islam die Belange der Frauen insofern, als er auch den Mann antibegehrlich einwickeln möchte. Da kann im Grunde niemand klagen; die graue Einheitskleidung ist ein Standardmotiv aller gesellschaftlichen Dystopien, die kommt sowieso. Man könnte mal in China fragen, ob sie die Schnittmuster von Maos Kulturrevolution noch haben, um Zeit zu sparen.

Aber angenommen, die Modeleute sagen jetzt, och nö, keine Säcke, wir machen lieber das mit knalleng – dann haben wir den Salat erst so richtig. Meine Sorge: In den letzten Jahren ist viel komplett Irres total normal geworden. Weshalb sollte das gerade hier anders sein?

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