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Politik: Kein Champagner in der Zentrale

Wie sich der Gasstreit zwischen Moskau und Kiew während des Jahreswechsels noch weiter verschärfte

Der neueste Moskauer Witz geht so: Der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko hat seinen Landsleuten zum Jahreswechsel mit schaumlosem Sekt zugeprostet. Begründung: Gas ist knapp. Der Witz kommt der Wahrheit sehr nahe. Denn am Sonntag um zehn Uhr Ortszeit fuhr der vom Kreml kontrollierte russische Konzern Gasprom den Druck in der Leitung herunter, über die Kiew russisches Erdgas bezieht. So war es auch im Ultimatum angedroht worden, mit dem Gasprom dem kleineren slawischen Bruder Weltmarktpreise für russische Gaslieferungen aufs Auge drücken will: 230 Dollar für 1000 Kubikmeter Erdgas.

Für Kiew ist dieser Preis ebenso unannehmbar wie die Kompromissvorschläge, mit denen Russlands Präsident Wladimir Putin in die Offensive gegangen war. Um das Haushaltsloch zu stopfen, das die neuen Preise in Kiews Haushalt aufreißen würden, hatte der Kreml einen Drei-Milliarden-Dollar-Kredit angeboten, den Kiew ablehnte. Am Samstag legte Moskau nach: Die neuen Gaspreise würden erst im zweiten Quartal greifen, lautete das Angebot. Allerdings stellte der Kreml gleich die Bedingung, dass Kiew den Vertrag noch im alten Jahr unterzeichnen müsse.

Die Absage übermittelte Naftagaz, der ukrainische Importeur, erst, als anderswo in Moskau bereits die Silvesterfeiern in vollem Gange waren. Das Fax war an den Gasprom-Vorstand gerichtet, der in der Konzern-Zentrale ausharrte – ohne Champagner. Kiew hatte inzwischen mit der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik Turkmenien eine 40-prozentige Steigerung der gegenwärtigen Lieferungen vereinbart. Für 1000 Kubikmeter Erdgas muss Kiew 60 Dollar zahlen.

Das war nicht die einzige Kröte, die Gasprom-Chef Alexej Miller in den letzten Stunden des alten Jahres schlucken musste. Denn Gasprom muss die turkmenischen Ersatzlieferungen durch das eigene Pipeline-System leiten – ohne den Schieber dicht machen zu können. Schließlich könnte Kiew Gleiches mit Gleichem vergelten. Und dann hätten sich Moskaus Ambitionen, zum Marktführer in Westeuropa aufzusteigen, erledigt. Noch nämlich laufen fast 80 Prozent aller russischen Erdgasexporte nach Europa über die Ukraine. Der ukrainische Premierminister Jurij Jechanurow wusste dabei schon in der letzten Woche Europa hinter sich. Unerwartet kam zu Silvester auch aus Moskau Unterstützung. Andrej Illarionow, Putins frisch zurückgetretener Wirtschaftsguru, plauderte bei einem Exklusivinterview für Radio „Echo Moskwy“ Details der russisch-ukrainischen Gasverträge aus. Von Interesse ist dabei vor allem ein Zusatzabkommen, von dessen Existenz Gasprom bisher nichts wissen wollte. Dort ist von Festpreisen die Rede – 50 Dollar pro 1000 Kubikmeter. Für alle, die mit dem Begriff nichts anfangen können, giftete Illarionow, stünde zwei Zeilen tiefer, dass es sich um Preise handelt, die bis 2009 „nicht veränderbar sind“.

Die Verträge wurden im August 2004 abgeschlossen – drei Monate vor Neuwahlen und, so Illarionow, ausdrücklich für fünf Jahre, also der Amtszeit des ukrainischen Präsidenten. Der Deal sei Teil eines von Moskau geschnürten Pakets gewesen, das Juschtschenkos pro-russischem Rivalen Janukowitsch zur Macht verhelfen sollte. Vor allem der Gaskrieg habe ihn, so Illarionow, zum Rücktritt bewogen. Man habe ihn zwingen wollen, die Preissteigerungen und „alles, was gegenwärtig noch in unseren bilateralen Beziehungen abläuft“, als „liberale Wirtschaftspolitik“ zu propagieren.

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