
© IMAGO/Panama Pictures
Kein Kriegsdienstverweigerer mehr: Zahl der Rücknahme-Anträge steigt
Angesichts der Bedrohungslage verweigern mehr Menschen den im Ernstfall weiter verpflichtenden Dienst an der Waffe. Hunderte nehmen aber auch ihre frühere Verweigerung zurück.
Stand:
Der scheidende grüne Vizekanzler Robert Habeck gehört zu den vielen, die sich angesichts der neuen Gefahrenlage in Europa Gedanken machen, inwiefern ihre frühere Entscheidung, lieber Zivildienst zu machen, statt zur Bundeswehr gehen, heute noch Bestand hätte. „Ob ich das heute so tun würde in einer anderen Situation, das weiß ich nicht“, sagte er im Herbst in einem Podcast der „Funke Mediengruppe“, „beziehungsweise, ich vermute, ich würde es nicht tun.“
Darüber nachzudenken ist das Eine, das Andere sind konkrete Konsequenzen, die gezogen werden. Denn die Wehrdienstverweigerung lässt sich auch offiziell rückgängig machen über einen Antrag beim zuständigen Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben.
Insgesamt geht es dabei bisher nicht um riesige Zahlen – schließlich ist die Wehrpflicht seit 2011 ausgesetzt und gilt nur für den Verteidigungsfall weiter. Da dieser aber mit Russlands umfänglichem Überfall auf die Ukraine Anfang 2022 nach Einschätzung vieler Experten näher gerückt ist, haben seither mehr Menschen quasi vorsorglich den Kriegsdienst verweigert.
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Zahl der Kriegsdienstverweigerungen steigt noch stärker
In den Karrierecentern der Bundeswehr, die solche Anträge entgegennehmen und dann an das genannte Bundesamt weiterleiten, wurden im Jahr 2021 deshalb lediglich 201 junge Männer vorstellig, die im Ernstfall betroffen wären.
Im ersten Jahr des Ukrainekrieges stieg deren Zahl auf 951 an, 2023 registrierte das Bundesamt bereits 1079 Fälle, 2024 sogar mehr als eine Verdopplung auf 2241 – eventuell auch, weil die Debatte über einen neuen Wehrdienst Fahrt aufnahm.
Die Zahlen aus den ersten Monaten dieses Jahres deuten darauf hin, dass der Trend sich noch verstärkt – möglicherweise weil mit der amerikanisch-russischen Annäherung auf Kosten Europas die Kriegsgefahr weiter zu steigen scheint. So wurden im Januar und Februar bereits 433 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung gestellt – hochgerechnet auf das Gesamtjahr wären das 2598.
Keine Angaben zur Motivation erfasst
Ein klarer Anstieg ist auch im umgekehrten Fall zu beobachten, dass nämlich doch eine Bereitschaft zur Verteidigung des eigenen Landes besteht und die Rücknahme einer bereits dokumentierten Wehrdienstverweigerung beantragt wird. Dies geschieht jedoch auf einem zahlenmäßig geringeren Niveau.
Auf Anfrage des Tagesspiegels berichtet das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben von 304 beantragten Rücknahmen des Verweigerer-Status im Jahr 2021. Im Jahr 2022 waren es dann 487, 2023 dann 536 und im vergangenen Jahr 626 Anträge auf Rücknahme der Wehrdienstverweigerung.
Im aktuellen Jahr wurden in den ersten beiden Monaten 102 Anträge gezählt. Auf das Gesamtjahr würden damit erneut mehr als 600 Wehrdienstverweigerungen widerrufen. Angaben zum Alter, dem Jahr der ursprünglichen Verweigerung oder der Motivation für den Sinneswandel werden dabei einer Sprecherin des Bundesamtes zufolge „nicht erfasst“.
Es kann sich dabei jedoch auch um ältere Fälle aus der Zeit handeln, als die Wehrpflicht noch nicht ausgesetzt war und stattdessen Zivildienst geleistet wurde. „Die Ableistung eines solchen Dienstes“, so die Sprecherin, „verhindert nicht die Möglichkeit der Abgabe einer Verzichtserklärung auf die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer.“
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