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Politik: Keine Akten, keine Klarheit

Ehemaliger US-Diplomat widerspricht Steinmeier / BND-Ausschuss vertagt Zeugenvernehmungen

Von
  • Frank Jansen
  • Hans Monath

Berlin - Im Fall Kurnaz hat ein ehemaliger Beamter des US-Außenministeriums neue Aufregung verursacht. Ex-Sonderbotschafter Pierre Prosper widersprach am Donnerstag im ARD-Magazin „Monitor“ den Angaben von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), die frühere rot-grüne Regierung habe sich für die Freilassung von Murat Kurnaz aus dem US-Gefangenenlager Guantanamo eingesetzt: „Von den Deutschen kam keinerlei Signal“, sagte Prosper, der sich von 2002 bis 2005 als Guantanamo-Beauftragter des US-Außenministeriums um die Rückführung von Häftlingen in ihre Heimat kümmerte. Die Bundesregierung habe sich im Fall Kurnaz nie an ihn gewandt, sagte Prosper. Er habe auch keinen Hinweis seines Chefs, Außenminister Colin Powell, erhalten. Laut Prosper war Kurnaz „zur Freilassung vorgesehen“.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes nannte die Äußerungen „nicht nachvollziehbar“. In Sicherheitskreisen hieß es, das US-Außenministerium habe beim Thema Guantanamo nichts zu entscheiden gehabt. „Das amerikanische Verteidigungsministerium ließ sich nicht reinreden“, sagte ein hochrangiger Sicherheitsexperte dem Tagesspiegel. Prospers Aussagen seien durch Akten und Zeugen widerlegt, sagte Thomas Oppermann, SPD-Obmann im BND-Untersuchungsausschuss.

Ex-Außenminister Joschka Fischer hatte dem Ausschuss berichtet, er habe 2003 mit Powell über Kurnaz gesprochen. Dies geht auch aus dem Bericht der Bundesregierung von 2006 an das Parlamentarische Kontrollgremium hervor. Danach wandten sich deutsche Vertreter im Fall Kurnaz mehrmals an US-Behörden. Auch der außenpolitische Berater des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, Bernd Mützelburg, sprach 2005 einen hochrangigen US-Diplomaten auf den Fall an.

Die Behauptung Prospers, die USA hätten Kurnaz nicht als gefährlich angesehen, wird ebenfalls nicht durch Akten gestützt. Laut Unterlagen von Kurnaz’ US-Anwalt stufte ihn ein US-Militärtribunal 2004 als „enemy combatant“ (feindlichen Kämpfer) ein. Auf dem Verteiler ist auch Prosper als Empfänger aufgeführt.

Nach einem Eklat um fehlende Akten über den früheren Guantanamo-Häftling Kurnaz hat der BND-Untersuchungsausschuss am Donnerstag die Vernehmung wichtiger Zeugen verschoben. Vor dem Bundestagsgremium sollten unter anderen der frühere BND-Chef August Hanning und sein Nachfolger Ernst Uhrlau aussagen. Weil Akten des Bremer Verfassungsschutzes über Kurnaz dem Ausschuss noch nicht vorliegen, beschlossen seine Mitglieder einstimmig, die Befragung um eine Woche zu verschieben. Ohne die Akten sei „eine sinnvolle Ausschussarbeit nicht möglich“, sagte der Ausschussvorsitzende Siegfried Kauder. Die für kommende Woche geplante Vernehmung von Steinmeier findet nun möglicherweise erst am 22. März statt.

Dass die Akten den Ausschuss noch nicht erreichten, liegt offenbar an einem Streit zwischen Bremens Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) und dem Bundesinnenministerium. In den Unterlagen befinden sich nicht nur Dokumente des Bremer Verfassungsschutzes, sondern auch Papiere des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Das Bundesinnenministerium forderte den Bremer Innensenator auf, die vertraulichen BfV-Dokumente herauszunehmen, bevor die Akten dem Untersuchungsausschuss zugeleitet werden. Bremen habe sich geweigert, hieß es am Donnerstag in Sicherheitskreisen. Die Akten seien allerdings schon in Berlin – in der Bremer Landesvertretung. Wie der Streit beigelegt wird, ist unklar.

Vertreter von FDP, Linkspartei und Grünen warfen der Bundesregierung vor, die Akten zurückzuhalten. Die Opposition hat an den Unterlagen großes Interesse, weil sie vermutet, dass belastende Hinweise zu Kurnaz nicht auf verlässlichen Angaben und glaubwürdigen Quellen des Bremer Verfassungsschutzes beruhen. Nach Kurnaz’ Festnahme in Pakistan Ende 2001 hatte der Bremer Verfassungsschutz ihn aufgrund von Berichten eines V-Manns als gefährlichen Islamisten eingestuft. Zu dieser Beurteilung trugen auch Polizei-Erkenntnisse bei. Das Bundeskanzleramt und die Spitzen der Sicherheitsbehörden verständigten sich dann im Oktober 2002 auf eine Einreisesperre für den in Bremen aufgewachsenen Türken, den die Amerikaner da schon mehrere Monate in Guantanamo festhielten.

Der frühere Vizechef des Bremer Verfassungsschutzes, Lothar Jachmann, widersprach am Donnerstag im Fernsehmagazin „Monitor“ der Darstellung, Kurnaz sei 2002 ein Sicherheitsrisiko für Deutschland gewesen. Es habe nie eine bestätigte Information gegeben, wonach Kurnaz nach Pakistan gereist sei, um mit Al Quaida Verbindung aufzunehmen oder zu kämpfen, sagte er. Der Bericht des Bremer Verfassungsschutzes, der dies nahelege, sei „professionell unter aller Sau“. In Sicherheitskreisen wurden allerdings darauf verwiesen, Jachmann selbst habe Vermerke über Kurnaz autorisiert.

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