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Ex-Sowjetrepublik: Kirgistan kommt nicht zur Ruhe

Bei Streitigkeiten um Land sterben in der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik Kirgistan fünf Menschen – dahinter stehen jedoch ethnische Konflikte.

Bei neuen Unruhen in der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik Kirgistan sind in der Nacht zu Dienstag mindestens fünf Menschen getötet und 28 verletzt worden. In Majewka, einem Dorf nahe der Hauptstadt Bischkek, hatten mehrere hundert Menschen illegal Land besetzt, Häuser geplündert und anschließend angesteckt. Angreifer und Überfallene waren bewaffnet. Augenzeugen berichten von heftigen Schießereien. Erst mithilfe der Armee, die 600 Soldaten schickte, gelang es der Polizei am Dienstagmorgen, die Situation halbwegs unter Kontrolle zu bringen. Die Lage ist jedoch weiterhin angespannt, durch die Straßen von Bischkek und anderen Großstädten rollen Panzerfahrzeuge.

Zwar hält sich der am 7. April gestürzte Präsident Kurmanbek Bakijew, dem zunächst Kasachstan – derzeit OSZE-Vorsitzender, größter Investor in Kirgistan und wegen der engen ethnischen Verwandtschaft beider Völker traditionell dessen Schutzmacht – Zuflucht gewährte, nach Angaben des weißrussischen Staatschefs Alexander Lukaschenko inzwischen in Minsk auf. Dennoch kommt Kirgistan nicht zur Ruhe. Die neuen Unruhen zeigen, wie es real um die Macht der provisorischen Regierung bestellt ist, die nach Worten ihrer Chefin Rosa Otunbajewa angeblich alles unter Kontrolle hat.

Das eigentliche Gesetz des Handelns indes diktiert nach wie vor die Straße. So hatten sich am Montag etwa 10 000 Menschen – vor allem aus den verarmten Unterschichten – vor der Stadtverwaltung von Bischkek versammelt und Forderungen erneuert, die sie gleich zu Beginn der Unruhen gestellt hatten: kostenlose Zuteilung von Grundstücken für den Hausbau. Da die Behörden sie erneut nur mit vagen Versprechungen abspeisten, versuchten sie, per Faustrecht vollendete Tatsachen zu schaffen. Damit aber erhalten die Unruhen eine neue Qualität. Denn Landnahme und Ausschreitungen richteten sich gegen die Minderheit der Mescheten: Etwa 57 000 Menschen, Nachkommen ethnischer Türken, die vom Osmanischen Reich im 16. Jahrhundert in Georgien angesiedelt und von Stalin im Zweiten Weltkrieg kollektiv nach Zentralasien verbannt wurden. Weil sie Muslime sind, verweigert Georgien ihnen bis heute die Rückkehr.

Zuvor hatte es schon schwere Übergriffe gegen ethnische Russen gegeben, die insgesamt 12,5 Prozent der Bevölkerung stellen. Die Massen, so Experten, würden die Schwäche der Opposition für eine willkürliche Umverteilung der Besitzstände nutzen, weil die einzelnen Gruppen nach ethnischem Prinzip organisiert sind und die Spannungen zwischen den Ethnien daher weiter eskalieren. Vor allem im Fergana-Tal im Süden, wo Tadschiken und vor allem Usbeken siedeln und mancherorts sogar über eindeutige Mehrheiten verfügen. Von der Titularnation werden sie dennoch politisch und wirtschaftlich diskriminiert.

Usbeken und Kirgisen lieferten sich daher mehrfach blutige Kämpfe um Land und Wasser und standen, als der gestürzte Bakijew im Fergana-Tal, seiner Heimat, die Macht wieder an sich zu reißen versuchte, auf unterschiedlichen Seiten der Barrikade. Die Kirgisen unterstützten ihn, die Usbeken die Übergangsregierung. Deren Schwäche droht den Konflikt der Volksgruppen nun erneut anzuheizen.

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