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Regierung in Sachsen ohne Mehrheit: Was sind die 110 Seiten Koalitionsvertrag wert?
Drei Monate nach der Wahl in Sachsen präsentieren CDU und SPD einen Koalitionsvertrag. Doch schon die Wahl des Ministerpräsidenten wird zum Härtetest. Nun beginnt das große Werben.
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Das hastig gebundene Werk, das Michael Kretschmer im sächsischen Landtag präsentiert, fasst 110 Seiten. „Mutig neue Wegen gehen“, steht über dem Koalitionsvertrag, den die CDU und SPD mehr als drei Monate nach den Landtagswahlen im Freistaat am Mittwoch präsentieren. „Ich finde, es ist ein beeindruckendes Werk“, sagt Kretschmer.
Doch wie viele der Vorhaben aus der Vereinbarung tatsächlich umgesetzt werden, ist völlig unklar. Denn mit der Einigung der beiden Parteien ist in Sachsen mitnichten alles geregelt. Ganze zehn Stimmen fehlen SPD und CDU im Landtag in Dresden zu einer eigenen Mehrheit. Zum ersten Härtetest dürfte schon die Ministerpräsidentenwahl werden, die voraussichtlich am 18. Dezember stattfinden soll.
Es kann gelingen.
Michael Kretschmer, CDU, Ministerpräsident Sachsen
„Uns ist klar, wir haben keine eigene Mehrheit“, sagte Kretschmer, der im Freistaat seit Dezember 2017 regiert. Man gehe daher mit „Demut“ an die Aufgabe, sagt der Ministerpräsident und kündigt an, mit dem BSW, Grünen und den Linken Gespräche führen zu wollen. „Es kann gelingen“, sagte Kretschmer vorsichtig optimistisch und verwies auf eine Vertrautheit, die es im Parlament gebe. „Die Hand ist ausgesteckt.“
Nur, ob die anderen Parteien einschlagen und Kretschmer wieder zum Ministerpräsidenten wählen wollen, ist fraglich. Mit dem BSW, das hinter CDU und AfD drittstärkste Kraft im Landtag ist, waren Sondierungsgespräche für eine „Brombeer“-Koalition vor einem Monat gescheitert, weil man sich bei Themen Migration, Finanzen und Frieden nicht hatte einigen können. Warum die Partei um ihre Landesvorsitzende Sabine Zimmermann nun Kretschmer wählen sollte, bleibt offen.
Noch deutlicher werden die Grünen, die zwar in der letzten Legislatur unter Kretschmer mitregiert haben, es nach einem harten Wahlkampf aber nur knapp in den Landtag geschafft haben. „Michael Kretschmer hat mehr als einmal klar gesagt: Mit uns Grünen will er nicht“, sagte Wolfram Günther, Spitzenkandidat der sächsischen Grünen und scheidender Umweltminister.
Die künftige Koalition läuft sehenden Auges ins Chaos, in Thüringer Verhältnisse.
Grünen-Politiker Wolfram Günther kritisiert das Vorgehen von CDU und SPD.
Günther kritisiert das Agieren von CDU und SPD scharf: „Die künftige Koalition läuft sehenden Auges ins Chaos, in Thüringer Verhältnisse. So kann man kein Land regieren, erst recht nicht in Zeiten wie diesen, wo es darum geht, die Wirtschaft zu stärken, das Klima und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schützen“, so der Grünen-Politiker.
Immerhin die Linken, zu denen die CDU ja eigentlich einen Unvereinbarkeitsbeschluss hat, signalisiert Offenheit. „Als verantwortungsvolle Opposition sind wir bereit, abseits vom Parteienstreit etwas für die Menschen zu erreichen“, sagt Susanne Schaper, Fraktionsvorsitzende der Linken, dem Tagesspiegel. Dringlich sei vor allem, dass ein neuer Haushalt verabschiedet werde.
Die Koalition hat keine Mehrheit und keinen Haushalt
Tatsächlich hängt die Umsetzung des Koalitionsvertrags nicht nur an der Wahl von Kretschmer. Der Freistaat steht ohne Haushalt da, eine Mehrheit für einen Entwurf fehlt. Vieles stehe unter Vorbehalt, gibt auch Kretschmer am Mittwoch zu. Seine Regierung will immerhin ein Zeichen setzen und bei sich selbst sparen. Ein Ministerposten – der Chef der Staatskanzlei – soll entfallen, die Zahl der Staatssekretäre von 15 auf elf schrumpfen.
Überzeugen dürfte das die anderen Parteien noch nicht, daher setzen CDU und SPD auf einen Konsultationsmechanismus. Gesetze sollen dabei frühzeitig im Parlament mit allen Parlamentariern – auch denen der AfD – besprochen werden. „Eine Zusammenarbeit oder eine Suche nach parlamentarischen Mehrheiten mit der AfD als gesichert rechtsextrem eingestufter Partei wird es durch die neue Regierung und die Koalitionsfraktionen nicht geben“, heißt es jedoch im Koalitionsvertrag.
Das sei nichts Neues, betont Petra Köpping, Sozialministerin und Spitzenkandidatin der SPD. In den Ausschüssen und im Parlament habe man immer auch mit der AfD gesprochen – aber nicht mehr. Auch sie warb in Richtung Grüne, Linke und BSW. So habe man die BSW-Idee der „Dorfkümmerer“ und das Linken-Konzept der „Runden Tische“ übernommen. Und auch für die Grünen sei etwas dabei: Der Begriff Klimawandel werde sich im Titel eines Ministeriums wiederfinden.
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