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„Keine Toten mehr“ steht auf dem Plakat, das ein Mann bei einer Demonstration in Bogotá Anfang des Monats hochhält.

© Luisa Gonzalez/Reuters

Kolumbien: Menschenrechtler in Gefahr

In Kolumbien streiten kriminelle Gruppen um die Macht – mit tödlichen Folgen für Menschenrechtler. Aktivisten fürchten eine neue Welle der Gewalt unter der künftigen Regierung.

Brennende Kerzen und Fotos ermordeter Menschenrechtsaktivisten – Anfang Juli versammelten sich Kolumbianer in mehr als 50 Städten weltweit und forderten: „Dass der Frieden uns nicht das Leben kostet!“ Neben Aktionen in Kolumbien kamen auch vor den Botschaften in Sidney, Berlin und Paris Hunderte Menschen zusammen und proklamierten: „Ein Aktivist zu sein ist kein Verbrechen!“

Seit Inkrafttreten des Friedensabkommens zwischen der Farc-Guerilla und der kolumbianischen Regierung im Dezember 2016 wurden laut der Nichtregierungsorganisation „Indepaz“ mindestens 311 Aktivisten gezielt getötet. Demnach wird in Kolumbien etwa alle vier Tage ein Aktivist ermordet.

Kriminelle Gruppen streiten um die Vorherrschaft

Der Friedensprozess mit der Farc sollte dem mehr als fünf Jahrzehnte währenden bewaffneten Binnenkonflikt ein Ende setzen. Was in vielen Teilen des Landes für Frieden sorgte, stürzte andere ins Chaos. In Regionen, die jahrzehntelang von der Farc kontrolliert wurden, streiten nun kriminelle Gruppen um die Vorherrschaft – mit gravierenden Auswirkungen auf die Menschenrechte.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warnte kürzlich vor einer schweren Menschenrechtskrise: „Die stille Komplizenschaft der kolumbianischen Behörden darf nicht weitergehen“, sagt Erika Guevara-Rosas, Amnesty-Koordinatorin für Südamerika, und ergänzt: „Die langsame Implementierung des Friedensvertrages in den Regionen, die am stärksten von dem bewaffneten Konflikt betroffen waren, und die Abwesenheit des Staates ermöglicht es bewaffneten Akteuren, Territorien zu besetzen und Menschenrechtsverteidiger in völliger Straflosigkeit zu ermorden.“

Auch 38 Abgeordnete des Europaparlaments, darunter der Die Linke-Abgeordnete Helmut Scholz, wandten sich kürzlich in einem offenen Brief an die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini. Die Abgeordneten betonten, dass die hohe Frequenz der Morde die Systematik der Gewalt offenbare – und verweisen auch auf die Gewalt in Zusammenhang mit Megaprojekten, die mit EU-Mitteln finanziert werden.

Politische Opposition fürchtet Zunahme der Gewalt

Bereits im Vorfeld der Stichwahlen zur Präsidentschaft am 17. Juni hatten oppositionelle Gruppen vor einer Verschärfung der Gewalt gewarnt, sollte der rechtskonservative Anwalt Iván Duque als Gewinner hervorgehen. Duque hatte das Friedensabkommen zwischen Farc und Regierung zuvor mehrfach hart kritisiert, „wesentliche Korrekturen“ angekündigt und eine erneute Militarisierung des Landes versprochen. Zahlreichen seiner Unterstützer, darunter dem ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe, werden Verbindungen zu paramilitärischen Gruppen vorgeworfen.

Uribe erklärte kurz darauf bei Twitter, die gesunkene Mordrate unter dem noch amtierenden Präsidenten Juan Manuel Santos sei geschönt. Santos würde „die Tragödie des Mordens“ lediglich auf die künftige Regierung Duques „verschieben“. Menschenrechtsaktivisten verstehen das als Drohung. Der designierte Verteidigungsminister Guillermo Botero kündigte bereits an, soziale Proteste künftig stärker regulieren zu wollen.

Unterstützer des linken Präsidentschaftskandidaten unter den Opfern

Kurz nach der Wahl stieg die Zahl ermordeter Aktivisten sprunghaft an. In der ersten Juliwoche wurden mindestens neun Aktivisten getötet, im ersten Monat nach der Wahl mindestens 24. Unter den Getöteten finden sich auch mehrere Unterstützer des ehemaligen linken Präsidentschaftskandidaten Gustavo Petro.

Jorge Rojas, Koordinator der Wahlkampagne Petros, sprach im Interview mit der Tageszeitung „El Espectador“ von einem gezielten Versuch, die Opposition zum Schweigen zu bringen: „Wir erleben seit einigen Tagen eine Welle der Gewalt gegen Personen, die die Kampagne von Gustavo Petro angeführt, koordiniert oder unterstützt haben. Meiner Ansicht nach kann man von einem gezielten Plan der Auslöschung sprechen“, so Rojas. In mindestens zehn Departments würden linke Politiker massiv bedroht – insbesondere in jenen, in denen Petro die meisten Stimmen erzielt hatte.

Paramilitärische Vereinigung droht mit "Auslöschung"

Mitte Juli zirkulierte ein Pamphlet der paramilitärischen Vereinigung „Aguilas Negras“, die die „vollständige Auslöschung“ einer Liste von sozialen Organisationen, Journalisten, Medien und linken Politikern ankündigt. Jene würden „verschwinden“ und nichts könne das verhindern, droht die illegale Gruppierung. Nach einer „gerechten und wahrhaften Analyse“ sei man zu dem Schluss gekommen, dass jene Organisationen und Einzelpersonen „getarnte Guerilleros und Milizen“ seien, die das Land destabilisieren und die Macht erlangen wollten.

Zu den bedrohten zählt auch Gustavo Petro. Auf Twitter erklärte er, dass die "Aguilas Negras" nicht als „paramilitärische Kraft exisitiert“ hätten – und äußerte den Verdacht, dass es sich bei der Gruppierung vielmehr um einen Decknamen von Teilen der staatlichen Sicherheitsdienste handele.

Radikalisierung und Diffamierung des Friedensprozesses

Zu den bedrohten zählen auch mehrere Partner der Heinrich-Böll-Stiftung, etwa die Journalistin Lineth Bedoya Lima und die Frauenrechtsorganisation Sisma Mujer. „Die neuen Morddrohungen verdeutlichen in dramatischer Weise die Brisanz der Lage in Kolumbien“, sagt Barbara Unmüßig, im Vorstand der Heinrich- Böll-Stiftung.

Illegale bewaffnete Gruppen, die meist sehr professionell agieren, würden sich im Drogenhandel breitmachen oder Bauen und Indigene bekämpfen, die sich gegen den Raub ihres Landes wehren würden. „Zugleich zielen die zunehmenden Todesdrohungen gegen Personen der kritischen Zivilgesellschaft wie Menschenrechtsverteidiger oder Journalisten anerkannter Medien darauf ab, den mit dem Friedensvertrag eingeschlagenen Weg der friedlichen und rechtsstaatlichen Konfliktaufarbeitung und demokratischen Auseinandersetzung zu unterminieren“, so Unmüßig. Die radikale Polarisierung und gezielte Diffamierung des Friedensprozesses im Wahlkampf habe dafür den Boden bereitet.

Am 7. August tritt Iván Duque seine Präsidentschaft an. Menschenrechtsaktivisten und linke Politiker wie Gustavo Petro rufen parallel zu friedlichen Protesten auf, sowohl in Kolumbien als auch international. Auch in Berlin wollen Kolumbianer am Brandenburger Tor erneut für den Frieden protestieren und effektive Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechtsaktivisten fordern.

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