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Kaputte Toiletten in Schulgebäuden gehören nicht nur in Berlin für Schülerinnen und Schüler zum Alltag.

© IMAGO/Florian Gaertner

Kommunen am Limit : Klamme Kassen und Investitionsstau – Ausweg Sondervermögen?

Städte und Gemeinden stecken tief in den roten Zahlen. Nun fehlen noch einmal 30 Milliarden Euro mehr an Investitionen. Die Hoffnungen liegen auf dem Sondervermögen. Doch liefern die Länder?

Stand:

Viel ist dieser Tage die Rede von bald endlich fließenden staatlichen Investitionen in neue Straßen, Schulen und Brücken. Vor allem dank des Infrastruktur-Sondervermögens will Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) „die Bagger wieder rollen lassen“, wie er selbst häufig sagt.

Am Mittwoch hat das Kabinett ein Gesetz für den Anteil von Ländern und Kommunen in Höhe von 100 Milliarden Euro beschlossen.

Eine neue Befragung der Förderbank KfW unter fast eintausend Kämmerern von Gemeinden, Städten und Kreisen zeigt, dass die Lage in den Kommunen noch prekärer ist, als bisher angenommen. So sind viele schon mit dem Erhalt ihrer bestehenden Infrastruktur zunehmend überfordert. Dazu werden zwar Milliarden für Investitionen geplant, aber dann nicht abgerufen.

Finanzlage aus Sicht der Kommunen „katastrophal“

Weil die Kommunen durch die schwächelnde Konjunktur weniger Steuern eingenommen und gleichzeitig bei Personal und im Sozialen mehr ausgegeben haben (für viele Mittel besteht eine gesetzliche Bindung), stieg das Haushaltsdefizit aller rund 10.750 Kommunen im vergangenen Jahr auf 24,3 Milliarden Euro. Nie seit der Wiedervereinigung war das Defizit höher. Über ein Drittel der Kommunen bewertet die eigene Finanzlage als mangelhaft; der Anteil steigt mit der Einwohnerzahl.

Wir leben immer mehr von der Substanz.

Burkard Jung, Präsident des Städte- und Gemeindebundes, zur Lage der Kommunen

Der Städte- und Gemeindebund (DStGB) spricht von einer „katastrophalen Finanzkrise“. Dazu sind auch die Zukunftsaussichten schlecht: 84 Prozent der Kommunen erwarten eine noch schlechtere Entwicklung für das laufende Haushaltsjahr. „Wir leben immer mehr von der Substanz“, sagt DStGB-Präsident Burkard Jung dem Tagesspiegel. Dazu steigt auch bei den Kommunen der Schuldenstand, zuletzt um 9,5 Prozent auf über 169 Milliarden Euro.

Mehr Investitionen, aber auch mehr Verschleiß

Angesichts dieser desolaten finanziellen Lage überrascht, dass die Kommunen ihre Investitionspläne im vergangenen Jahr auf 47 Milliarden Euro ausgeweitet haben. Der Großteil davon war für Schulgebäude, Kindertagesstätten, Straßen, Radwege sowie den Brand- und Katastrophenschutz vorgesehen. Auch im laufenden Jahr sind 48 Milliarden Euro geplant.

Allerdings wurden Hochrechnungen zufolge im vergangenen Jahr nur rund 30 Milliarden Euro davon tatsächlich ausgegeben. Die Gründe reichen von Personalengpässen bei den Bauämtern über komplexe Dokumentationspflichten bis zu langwierigen Förderverfahren.

Wenn wir Schwimmbäder, Fahrradwege oder Schulen erhalten und sanieren wollen, dann muss richtig was passieren.

Die Grünen-Kommunalexpertin Karoline Otte

Gleichzeitig stieg der Anteil der Kommunen, die den Unterhalt ihrer Infrastruktur nicht mehr bewerkstelligen konnten, spürbar: Bei Schulgebäuden ist es fast jede fünfte, im Verkehrs-, Kultur- und Sportbereich rund jede dritte Kommune. Insgesamt meldete eine von fünf Kommunen Probleme damit, bestehende Schäden zeitnah auszubessern, das betraf vor allem Kommunen in Ostdeutschland und solche mit weniger Einwohnern.

Investitionsstau auf Rekordniveau

Über die Jahre hat sich bei Städten, Gemeinden und Kreisen so ein wahrgenommener Rückstand von rund 216 Milliarden Euro angesammelt. Diese Summe ist laut den Kämmerern nötig, um die Infrastruktur in einen adäquaten Zustand zu versetzen. Allein im letzten Jahr ist sie um fast 30 Milliarden Euro gestiegen.

„Diese Zahlen machen deutlich wie nie zuvor: Wenn wir Schwimmbäder, Fahrradwege oder Schulen erhalten und sanieren wollen, dann muss richtig was passieren“, sagte die Grünen-Kommunalexpertin Karoline Otte dem Tagesspiegel. Die Stimmung bei Städten und Gemeinden sieht sie auf einem neuen Tiefpunkt angekommen.

Mit 68 Milliarden Euro ist der Investitionsstau laut KfW im Schulbereich mit Abstand am größten. Mehr als die Hälfte der Kommunen berichtet über nennenswerte oder gravierende Mängel an Schulgebäuden. Dazu besteht ab 2026 ein gesetzlicher Anspruch auf Ganztagsbetreuung von Kindern im Grundschulalter, wofür beispielsweise Kantinen gebaut werden müssen.

In Straßen müssten die Städte und Gemeinden zudem über 53 Milliarden Euro investieren, in den Brand- und Katastrophenschutz sowie Verwaltungsgebäude rund 20 Milliarden Euro und in Sporthallen und Schwimmbäder über 15 Milliarden Euro.

Unsicherheit bei Sondervermögen 

Mit den Mitteln aus dem Sondervermögen kann davon nur ein Teil abgefangen werden. Die Zustimmung des Bundesrats am 11. Juli ist nach den jüngsten Beratungen von Bund und Ländern nur noch Formsache.

Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) wollte die Länder ursprünglich dazu verpflichten, mindestens 60 Milliarden Euro an die Kommunen weiterzugeben und damit nur zusätzliche Investitionen zu finanzieren. Die Länderchefs haben allerdings beides aus dem Gesetz herausverhandelt und haben nun weitgehend Freiheit bei der Mittelverwendung.

Ökonomen, aber auch Vertreter aus der Industrie und den Kommunen, fürchten, dass in den Haushalten geplante Investitionen nun in das Sondervermögen verschoben werden, und erhöhen den Druck auf die Ministerpräsidenten. „Die Länder dürfen nicht mit Verweis auf das Sondervermögen bislang bestehende Förderprogramme zurückfahren oder gar die regulären Zuweisungen an die Kommunen kürzen“, sagt DStGB-Präsident Burkard Jung.

Auch beim Bauindustrie-Verband hält man es für einen Fehler, dass die Länder individuell entscheiden können, welchen Anteil sie an die Kommunen geben. „So ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass die Kommunen nur einen Bruchteil der insgesamt 100 Milliarden Euro erhalten werden“, sagt Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller. Dabei würden sie die Hauptverantwortungslast vor Ort schultern.

Auch Karoline Otte glaubt, dass damit ohnehin nur ein Bruchteil des bestehenden Defizits ausgeglichen werden kann. „Wirklich helfen würden höhere Steueranteile für die Kommunen“, sagt die Grünen-Abgeordnete. Andernfalls drohe, dass öffentliche Leistungen und Einrichtungen flächendeckend wegfallen.

Einen größeren Anteil am Umsatzsteueraufkommen hat der Bund den Ländern gerade zugesagt. Allerdings nur im Ausgleich für Ausfälle aus einem anderen Klingbeil-Gesetz.

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