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Bedürftig. Immer mehr Griechen sind auf Zuwendungen angewiesen - wie hier in einer Turnhalle in Athen, wo Arme und Obdachlose am 1. Weihnachtsfeiertag von örtlichen Behörden mit Nahrungsmitteln versorgt wurden.

© dpa

Griechenland: Krisen-Logik: Die Preise purzeln, das Leben wird trotzdem teurer

Griechenland, das am 1. Januar 2014 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, erlebt derzeit eine kräftige Deflation. Sind niedrige Preise für die Bevölkerung nicht ein gutes Zeichen?

Jahrzehntelang mussten die Griechen mit der Inflation leben. In den 1980er Jahren lagen die jährlichen Preissteigerungen bei durchschnittlich 20 Prozent. Auch nach dem Beitritt zur Eurozone stiegen die Verbraucherpreise in Griechenland stets deutlich schneller als im Durchschnitt der Währungsunion. Jetzt stürzen die Preise ab. Im November verbilligten sich Waren und Dienstleistungen gegenüber dem Vorjahr um 2,9 Prozent. Das ist die stärkste Deflation seit Beginn der Datenerhebung 1960.

Diese Entwicklung hat mit dem Gesetz von Angebot und Nachfrage zu tun: Ist die Nachfrage größer als das Angebot, steigen die Preise; ist sie geringer, fallen sie. Das erleben jetzt die Griechen. Das Land ist im sechsten Jahr der Rezession, die griechischen Privathaushalte haben seit 2010 im Durchschnitt 37 Prozent ihrer Kaufkraft verloren. Sie können sich also immer weniger leisten. Das gilt für größere Anschaffungen wie Hausgeräte genauso wie für den Besuch im Restaurant oder den täglichen Einkauf im Supermarkt. Unternehmen und Händler müssen also die Preise senken, um ihre Waren und Dienstleistungen abzusetzen.

Nun könnte man annehmen, dass es unter diesen Umständen gut ist für die Griechen, wenn alles billiger wird. Doch das greift zu kurz. Denn tatsächlich wird das Leben nicht billiger sondern teurer. Denn dem Preisrückgang von 2,9 Prozent im November stehen Einkommensverluste gegenüber, die in diesem Jahr rund sechs Prozent ausmachen werden. Trotz Deflation können sich die meisten Familien also weniger leisten, weil ihre Einkommen stärker fallen als die Preise. Überdies wird nicht alles billiger. Die Energiekosten steigen beispielsweise. Die Stromtarife sind seit dem Vorjahr um 19 Prozent gestiegen, das Heizöl ist in diesem Winter 25 Prozent teurer als vor einem Jahr.

Zwar gibt es Anzeichen dafür, dass es in wirtschaftlicher Hinsicht aufwärts geht, die griechische Regierung spricht gar von einer Trendwende. Doch das kann man so oder auch anders sehen. Im dritten Quartal ging die Wirtschaftsleistung um drei Prozent zurück. Das wäre für jedes andere EU-Land eine katastrophale Hiobsbotschaft. Für Griechenland ist es eine Erfolgsmeldung, nachdem die Wirtschaft im ersten Quartal noch um 5,5 Prozent schrumpfte und 2012 sogar um 6,4 Prozent. Die Talfahrt setzt sich also fort, wenn auch nicht mehr so schnell.

Gleichwohl besteht die Gefahr einer Deflationsspirale: Weitere Einkommenseinbußen, wie wir sie in Griechenland erleben, führen zu einer Kaufzurückhaltung der Konsumenten. Das drückt die Preise noch mehr, was viele Unternehmen letztlich in die Insolvenz treiben kann. Hält die Deflation länger an, gefährdet das nicht nur den geplanten Abbau der Staatsschulden. Verheerende Folgen hat die Deflation auch für private Schuldner: Während zum Beispiel viele Immobilien seit 2010 ein Drittel ihres Werts verloren haben, müssen Kreditnehmer den beim ursprünglichen Kauf festgesetzten monetären Wert begleichen. Die Deflation lässt die Werte verfallen, während die Schulden real immer größer werden. Das hält Unternehmen und Verbraucher davon ab, Kredite aufzunehmen. So wirkt die Deflation als Konjunkturbremse.

Aus dieser Abwärtsspirale herausführen könnten nur Investitionen, die das Wachstum ankurbeln, Arbeitsplätze schaffen und die Kaufkraft stärken. Aber das Rezept der internationalen Geldgeber ist das genaue Gegenteil: Sparen, sparen, sparen. So rutschte Griechenland in die tiefste Rezession der Nachkriegsgeschichte. Seit Beginn der Krise hat das Land bereits ein Fünftel seiner Wirtschaftskraft verloren.

Zwar erwarten die Regierung in Athen und die EU-Kommission, dass Griechenlands Wirtschaft im kommenden Jahr erstmals seit 2007 wieder wachsen wird. Allerdings wird das prognostizierte Plus mit 0,6 Prozent sehr gering ausfallen. Und bis die Menschen eine Wende spüren, wird viel Zeit vergehen. Im Laufe der Krise gingen in Griechenland bereits eine Million Arbeitsplätze verloren. Nach einer Schätzung des gewerkschaftsnahen Instituts für Arbeit wird es 20 Jahre dauern, bis diese verlorenen Jobs neu entstehen.

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