zum Hauptinhalt
Die Ukraine bittet um Waffen zur Verteidigung gegen einen möglichen russischen Angriff. Panzer-Abwehr-Übung der ukrainischen Armee in der Region Wolhynien.

© via REUTERS

Kritik aus dem Europaparlament an deutscher Ukraine-Politik: Die Geschichte gebietet Solidarität mit den Opfern

Ein schwarz-grüner Appell an Berlin, der Ukraine Waffen zur Selbstverteidigung nicht zu verwehren und sich in EU und Nato nicht zu isolieren. Ein Gastbeitrag.

Michael Gahler (CDU) ist Außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament.

Viola von Cramon-Taubadel (Grüne) ist stellvertretende Vorsitzende der Ukraine-Delegation des Europäischen Parlaments.

Wer aus der Geschichte gelernt hat und fest im Kreise der liberalen Demokratien verankert ist, darf weder Täter und Opfer verwechseln noch sie gleich behandeln. Das geschieht gerade in der deutschen Debatte über die Lieferung von Waffen zur Selbstverteidigung zwecks Abwehr einer militärischen Aggression.

Erstaunt muss man zur Kenntnis nehmen, wie bei Politikern verschiedenster Parteien in Deutschland offenbar Wertefundament und Common Sense ins Rutschen kommen, wenn sie sich zu Russland äußern.

Unsere Geschichte erlaubt es nicht, Waffen zu liefern, die gegen Russland eingesetzt werden könnten, hört man aus der Ampelkoalition, aber auch über sie hinaus. Das lässt aufhorchen. Lässt die deutsche Geschichte tatsächlich solche Schlüsse zu?

Russland umzingelt die Ukraine und provoziert damit seit Wochen mit mehr als 100.000 Soldaten, schweren Waffen sowie der gesamten militärischen Infrastruktur, die für einen Einmarsch benötigt würde.

Lehren aus dem Appeasement in München 1938

Das letzte Mal, dass in Europa ein Land ohne Kriegserklärung vergleichbaren Druck auf einen schwächeren Nachbarn ausgeübt hat, war wohl 1938 kurz vor der Münchner Konferenz, als die deutsche Wehrmacht ihre Truppen rund um die Tschechoslowakei zusammengezogen hatte und diese zum Einmarsch bereit standen. In dem Moment gaben Frankreich und Großbritannien nach, versagten der Tschechoslowakei den Beistand, weil sie hofften, damit einen „großen“ Krieg in Europa zu verhindern.

Wir alle wissen, dass beide hier einer schweren Fehlanalyse unterlagen. Das endgültige Scheitern einer möglichen Appeasement-Strategie gegenüber einem Aggressor wurde offensichtlich.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Deshalb muss unser Auftrag lauten: Wer aus der europäischen Geschichte gelernt hat, muss gegenüber einem Aggressor diejenigen stärken, die völkerrechtswidrig bedroht werden, um den Preis für einen Angriff signifikant zu erhöhen und damit dessen Wahrscheinlichkeit zu reduzieren.

Schon heute verteidigen sich Angegriffene auch mit deutschen Waffen

Das tun wir ganz selbstverständlich im Nato-Rahmen. Deswegen stehen in Litauen auch wieder deutsche Soldaten und würden im Ernstfall diese Waffen natürlich gegen einen russischen Angreifer einsetzen.

Wieso sollte also ein Land wie die Ukraine, das nicht Mitglied der Nato ist und „nur“ gemäß Artikel 51 der UNO-Charta das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung hat, sich gegen den gleichen Gegner nicht mit europäischen und auch deutschen Waffen verteidigen dürfen ?

Oder sollte etwa Russlands Forderung nach exklusiven Einflusszonen ein Recht zum Krieg einschließen? Selbstverständlich nicht.

Deutschland fehlt der Wille, es isoliert sich in Europa

Europa und Deutschland fehlt es sicher nicht an Verhandlungs- und Dialogbereitschaft oder gar dem Willen zur Entspannung mit Russland. Aber Deutschland fehlt es am Willen, wenn es um Frieden geht, notfalls auch die notwendige Robustheit zu demonstrieren. Damit sind wir in EU und Nato zunehmend „allein zu Haus“, während große und kleine Partner den Appeasement-Fehler von 1938/39 vermeiden wollen.

Ein Blick auf die Karte genügt, um festzustellen, dass der deutsche Angriffskrieg in Osteuropa nicht nur, aber vor allem über Polen, Belarus und die Ukraine besonders viel Leid gebracht hat. Der Großteil auch der Gräueltaten gegen die jüdische Bevölkerung hat dort stattgefunden.

Deshalb muss die Lehre der Geschichte sein: Nie wieder soll die Ukraine erneut leichtes Opfer einer auswärtigen Aggression werden, diesmal durch deutsches Unterlassen. Das schulden wir einem Partner, der mühevoll versucht, sich aus den Schatten der Vergangenheit hin zu einer funktionierenden europäischen Demokratie zu entwickeln. Putins Plan führt zurück in eine unheilvolle Vergangenheit von Repression und Fremdbestimmung.

Gegenüber unseren Partnern in EU und Nato haben wir Anlass, den Nachweis zu erbringen, dass wir, wenn es um Krieg und Frieden geht, fest im Westen stehen und keine Wanderer zwischen den Welten sind.

Michael Gahler, Viola von Cramon-Taubadel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false