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Lehren aus Österreich: Fällt auch in Deutschland die Brandmauer?
Verbal grenzen sich Konservative in Deutschland oft und gern von den Rechtsextremisten in der AfD ab. Doch wer genauer hinsieht, erkennt beunruhigende Tendenzen.

Stand:
Wie schnell eine politische Brandmauer einstürzen kann, ist aktuell in Österreich zu beobachten. Bundespräsident Alexander Van der Bellen beauftragte den rechten FPÖ-Chef Herbert Kickl am Montag mit der Regierungsbildung.
Und trotz anderslautender Beteuerungen im Wahlkampf ist die Österreichische Volkspartei (ÖVP) nun doch zu Koalitionsverhandlungen bereit. Die Konservativen könnten damit einem Rechtspopulisten ins Amt des Bundeskanzlers verhelfen.
Weltweit ist die Annäherung zwischen Konservativen und Rechtspopulisten zu beobachten.
Hannes Soltau, Tagesspiegel
Niemand hat die ÖVP dazu gezwungen. Sie hätte eine Mehrheit jenseits des rechten Randes finden, den Kanzler stellen und sich die Koalitionspartner sogar aussuchen können. Doch die Koalitionsverhandlungen der Mitte-Parteien scheiterten.
Rechtspopulisten profitieren von den Zerwürfnissen der Demokraten
Das zeigt nicht nur, dass Rechtspopulisten von den Zerwürfnissen unter Demokraten profitieren. Sie kommen meist auch nur dann an die Macht, wenn traditionelle Konservative ihnen dabei helfen. Das muss zu erhöhter Wachsamkeit im deutschen Wahlkampf führen – vor allem, was den Umgang der CDU mit der AfD angeht.
Die Konstellation in Österreich wäre so, als würde Björn Höcke Bundeskanzler werden, unterstützt durch die CDU als Junior-Koalitionspartner. Für die politischen Verhältnisse in Deutschland ein abwegiges Szenario? Wenn man genauer hinsieht, verschwimmen blaue und schwarze Farbnuancen zunehmend.
Erst am Wochenende forderte der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, straffällig gewordenen Doppelstaatsbürgern den Pass entziehen zu können. Für Millionen von Deutschen würde dies eine Staatsangehörigkeit auf Bewährung bedeuten.
Weltweit ist die Annäherung zwischen Konservativen und Rechtspopulisten zu beobachten. In Frankreich wollte Eric Ciotti, der frühere Parteivorsitzende der konservativen Les Républicains, mit dem Rassemblement National ein Wahlbündnis bilden. In Italien verhalf die Forza Italia der Postfaschistin Giorgia Meloni zur Macht.
In Schweden wird eine von den Christdemokraten angeführte Minderheitsregierung durch die rechtspopulistischen Schwedendemokraten toleriert. Und in den USA sahen weite Teile des konservativen Establishments dabei zu, wie Trump die Republikanische Partei zunehmend in Richtung Populismus, Verschwörungstheorien und Nationalismus öffnete.
Einst lernten angehenden Politikwissenschaftler im Studium noch, dass demokratischer Konservatismus darauf abziele, Stabilität zu bewahren und Veränderung maßvoll und reflektiert zu gestalten. Der Rechtspopulismus dagegen auf Konfrontation, Polarisierung und emotionale Mobilisierung ausgerichtet sei.
Er tendiere im Unterschied zum Konservatismus dazu, demokratischen Grundwerte zu unterminieren. Doch diese Unterscheidung wird immer schwerer. Der Kulturkampf gegen das Gendern und die „grüne Ideologie“ sind dabei nur die offensichtlichsten Schnittmengen.
Kopieren des Rechtspopulismus funktioniert nicht
Weltweit setzen Rechtspopulisten konservative Parteien unter Druck, indem sie ihnen Kernwähler mit radikaleren Positionen, direkterer Rhetorik und einer stärkeren Fokussierung auf emotionale Themen abwerben. Mitte-Rechts-Parteien stehen vor der Wahl, entweder eine klare Abgrenzung beizubehalten oder sich populistischen Positionen anzunähern.
Friedrich Merz grenzt sich verbal gerne und oft von der AfD ab. Behauptet dann aber wieder, dass Geflüchtete aus der Ukraine Sozialtourismus betreiben und Asylbewerber den Deutschen Zahnarzttermine wegnehmen würden. Und CSU-Vorsitzender Markus Söder will Migrationsthemen im Wahlkampf „mit harter Hand“ durchdrücken.
Dabei hat die Wissenschaft immer wieder festgestellt, dass das Kopieren rechtspopulistischer Thesen nicht funktioniert. Übernehmen demokratische Parteien diese, führe das vor allem zur Stärkung der Antidemokraten.
Die Geschehnisse in Österreich sollten darum ein Warnsignal sein. Der Versuch, durch taktische Allianzen mit Rechtspopulisten einen Teil der Macht zu sichern, geht für Konservative nicht nur mit einer Entfremdung von ihren traditionellen Werten einher – sondern gefährdet letztlich demokratische Grundprinzipien.
Diese Prinzipien zu verteidigen, wäre wahrhaft konservativ.
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