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Galionsfigur einer Initiative, die die Republik verändern will: Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Linke Sammlungsbewegung: Ein Experiment, immerhin

Braucht die zersplitterte deutsche Linke noch eine neue Organisation? "Aufstehen" könnte dem Lager einen wichtigen Impuls geben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hans Monath

Es sind Sätze, die anderen Vertretern der deutschen Linken kaum je über die Lippen kämen. „Ich bin es leid, die Straße Pegida und den Rechten zu überlassen“, sagte Sahra Wagenknecht bei der Vorstellung ihrer neuen Sammlungsbewegung: „Viele laufen mit, weil sie sich abgehängt und zurückgelassen fühlen.“ Auch ihr Mann Oskar Lafontaine will mit dem Projekt politisch heimatlose Wähler ansprechen, die sonst schnell zur AfD abwandern würden.

Die parteiübergreifende, linke Initiative wagt ein Experiment, wenn sie auch Verunsicherte zurückgewinnen will, die für rechte Parolen anfällig sind. In diesen Raum sind viele SPD- und Linken-Wähler abgewandert. Die Hand nicht den Einheizern und Gewalttätern, aber den Mitläufern von Chemnitz hinzustrecken, statt nur hart moralisch über sie zu urteilen, dafür fänden sich derzeit weder in der SPD, noch in der Linkspartei oder bei den Grünen Mehrheiten.

Gegen die Bewegung lassen sich viele Bedenken vortragen, auch gegen ihre prominentesten Gründungsmitglieder. Oskar Lafontaine muss mit dem Verdacht leben, er suche nur ein neues Forum für seinen Rachefeldzug gegen die SPD, die er einst als Vorsitzender im Stich ließ. Sahra Wagenknecht sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, sie wolle mit der Bewegung den Machtkampf um eine härtere Flüchtlingspolitik innerhalb der Linkspartei gewinnen, in dem sie unterlag.

Zentrale Akteure vertreten gefährliche Thesen

Auch vertreten zentrale Akteure der Bewegung gefährliche Thesen, etwa in der Außenpolitik. Hinter dem Appell für eine neue Partnerschaft mit Russland versteckt sich Kumpanei mit dessen Präsident Wladimir Putin, der in Europa gezielt Rechtspopulisten fördert und die Einigkeit der EU sabotiert.

Für die Einbindung Deutschlands in den Westen interessiert sich die Bewegung nicht. Statt westlichen Werten sieht sie nur kapitalistische Ausbeutungszusammenhänge. Auch deshalb läuft es auf eine deutsch-russische Sonderbeziehungen zulasten osteuropäischer Staaten hinaus, die in der Geschichte bekanntlich schon einmal in die Katastrophe führte.

Aber als einzige linke Kraft, die sich Gehör verschaffen kann, machen es die „Aufstehen“-Macher zum Thema, dass sich die soziale und kulturelle Kluft im Land durch den Flüchtlingszuzug vergrößern kann. Denn „oben“ sind die Migranten keine Konkurrenten, „unten“ auf dem Wohnungs- oder Arbeitsmarkt sehr wohl. Die Freunde offener Grenzen schützen sich selbst oft durch ein „hochgradig effizientes Grenzregime, das über Immobilienpreise und Mieten, über ein sozial und ethnisch hoch selektives Bildungswesen“ funktioniert, wie die Soziologin Cornelia Koppetsch beobachtete. Den weniger gebildeten Migrationsskeptikern „unten“ fehlen solche Mechanismen, sie fühlen sich schutzlos.

Bei der Flüchtlingspolitik ist der Aufruf bemerkenswert unscharf

Deshalb ist das Plädoyer für eine härtere Flüchtlingspolitik von links der machtpolitisch wichtigste Punkt der neuen Bewegung – auch wegen dieses Versprechens zeigen Umfragen, dass bis zu 20 Prozent der Deutschen eine solche Wagenknecht-Partei attraktiv fänden. Doch der Text des nun vorgestellten Aufrufs ist an dieser Stelle bemerkenswert unscharf. Den Autoren ist es nicht gelungen zwei Gedanken zu versöhnen, nämlich die große Empathie für Flüchtlinge als gesellschaftlichen Schatz zu preisen und zugleich den Zuzug von Flüchtlingen stärker zu begrenzen, als SPD, Linkspartei oder Grüne das wollen.

Der Name „Aufstehen“ erinnert an Emmanuel Macrons „En Marche!“. Gerade einmal 100.000 Unterstützer sind jedoch kein Indiz dafür, dass das deutsche Pendant wie das französische Vorbild Dynamik gewinnen und ein ganzes Parteiensystem aus den Angeln heben kann. Aber wenn der Impuls, die Abgehängten nicht nur zu verurteilen, sondern ins linksdemokratische Spektrum zurückzuholen, auch bei SPD, Linkspartei und Grünen zu einer neuen Hinwendung zu den Verlierern der Globalisierung und zu einer weniger selbstbezogenen Haltung in der Integrations- und Flüchtlingspolitik führen würde, hätte sich „Aufstehen“ schon um die Republik verdient gemacht.

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