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Live-Blog zum Brexit: Justizminister Gove: "Ich bin der Kandidat für den Wandel"
Bayern will Europas Bankenaufsicht von London nach München holen. Vor dem Hintergrund des Brexit-Votums hat die Slowakei die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Die Ereignisse im Live-Blog.
Stand:
Vor einer Woche haben die Briten mit knapper Mehrheit für den Brexit gestimmt. Europa und Großbritannien beschäftigen sich weiter mit den Folgen.
- Die Slowakei hat mitten in den Brexit-Krise die EU-Ratspräsidentschaft übernommen.
- Bei den britischen Tories ist das Rennen um die Nachfolge von Premier Cameron offen, nachdem Boris Johnson abgesagt hat. Favorisiert werden momentan Justizminister Michael Gove und Innenministerin Theresa May.
(mit Agenturen)
Wissenschaftler bitten Merkel um Solidarität
Der Historiker Christopher Clark, der vor wenigen Jahren mit seiner Studie zu Europas Weg in den Ersten Weltkrieg ("Die Schlafwandler") Aufsehen erregt hatte, und mehr als 300 weitere Wissenschaftler aus Großbritannien haben sich mit einem Offenen Brief an die Bundeskanzlerin gewandt. Sie verweisen auf die hohe Zustimmung für die EU in der Gruppe der jungen Wähler und fordern Angela Merkel deshalb auf, für eine weitere Durchlässigkeit der Grenzen auch nach einem Brexit zu sorgen. Die Hoffnungen der jungen Menschen dürften nicht der Härte der EU gegenüber den austrittswilligen Briten geopfert werden. Lesen Sie hier den vollständigen Brief.
EZB-Notenbanker fordern Klarheit
Führende EZB-Notenbanker fordern rasch Klarheit über den Zeitplan zum EU-Austritt Großbritanniens. "Denn lange Unsicherheit wäre mit wirtschaftlichen Kosten verbunden, vor allem für Großbritannien, aber auch für die Europäische Union", sagte EZB-Direktor Benoit Coeure in einem Interview der französischen Zeitung "Le Monde". EZB-Chefvolkswirt Peter Praet betonte auf einer Veranstaltung in London: "Es ist sehr wichtig, dass wir sehr rasch einen Brexit-Zeitplan erhalten."
Bringt sich Tony Blair in Position?
Tony Blair hat sich in einem Gastbeitrag für den britischen "Telegraph" zu den Brexit-Verhandlungen mit der EU geäußert. "Die Verhandlungen werden äußerst komplex sein, dabei steckt der Teufel im Detail", schreibt Blair und fordert einen gestandenen Staatsmann als Verhandlungsführer. An der Eignung eines Pro-Leave-Ministers zweifelt er. "Der Verhandlungsführer braucht ein feines Gespür für mögliche Kompromisse und Rote Linien", so Blair. Ein Gefühl für die "Psychologie der übrigen 27 EU-Mitgliedsstaaten" sei entscheidend.
Auch wenn Blair in dem Beitrag keine direkten Ambitionen auf ein Amt in den Verhandlungen kundtut, werden seine Aussagen auf der Insel schon als inoffizielle Bewerbung verstanden.
Gove: "Ich bin der Kandidat für den Wandel"
Großbritanniens Justizminister Michael Gove bewirbt sich bei einer Pressekonferenz öffentlich um die Nachfolge von David Cameron an der Spitze der Tory-Partei. "Ich bin der Kandidat für den Wandel", sagt Gove. Das Land habe sich beim Referendum gegen eine Fortsetzung des "business as usual" ausgesprochen und dafür stehe er. "Ich muss zu meinen Überzeugungen stehen. Ich kann die benötigte Führungsstärke liefern", so Gove. Er werde sich an die Versprechen der Leave-Kampagne halten und das Geld der EU-Zahlungen in öffentliche Dienste investieren.
Kernpunkt seiner Rede ist die Einwanderung. "Ich werde ein Punktesystem nach australischem Vorbild einführen und die (Einwanderungs-)Zahlen senken", verspricht Gove. Der Brexit sei eine Möglichkeit, die Union (des Vereinigten Königreichs, nicht der EU) zu erneuern und zu rebooten. "Das Vereinigte Königreich bedeutet uns allen so viel", sagt Gove und untermauert die Aussage mit einem privaten Exkurs: Er sei in Schottland geboren, sein Kinder in London und seine Frau in Wales.
Nach einer halben Stunde beendet Gove seine Rede. Ob er damit punkten konnte, muss abgewartet werden. Besonders groß war die Unterstützung seiner Parteigenossen nicht. Britische Reporter sprechen von nur drei Tory-Abgeordneten vor Ort.

Interessantes Ergebnis bei einer lokalen Nachwahl
Das Cäsar-Drama kehrte als Farce zurück
Atemberaubend, welches Schauspiel das politische Leben Großbritanniens bietet. Was bei Shakespeare noch Königsdrama war, kehrte als Farce wieder. Soeben wurde einer gemeuchelt, der noch nicht einmal König war und schon gar kein Cäsar, es aber gerne geworden wäre, und dessen über Jahre sorgsam gebaute Karriere binnen einer Woche zerfiel, bis ihr am Donnerstagmorgen der letzte, tödliche Stoß versetzt wurde – und, wie es sich im Drama und also auch dessen farcenhafter Neuauflage gehört, von dessen engstem Verbündeten.
Der Rückzieher von Boris Johnson lässt unseren Autor Bernhard Schulz nicht nur an hohe Literatur denken. Seinen ganzen Kommentar lesen Sie hier.

Brexit ist eine Chance für Hollande
Frankreichs Präsident steckt im Umfragetief - und könnte den Brexit für sich nutzen. Denn wenn es Francois Hollande gelänge, Paris statt London zur Finanzmetropole Europas zu machen, hätte er wenigstens etwas von Wert hinterlassen, schreibt Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff in seiner Agenda.
"Ein Tag des Verrats", "Eine Partei in Flammen", "Brexikutiert"
Slowakei übernimmt EU-Ratspräsidentschaft
Vor dem Hintergrund des Brexit-Votums hat die Slowakei von den Niederlanden die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Das erst seit 1993 unabhängige Land, das auch zur Eurozone gehört, wird den Vorsitz vom 1. Juli bis Jahresende 2016 führen. Aus diesem Anlass tritt am Freitag die EU-Kommission in der slowakischen Hauptstadt Bratislava zusammen.
Um das Ergebnis der Brexit-Abstimmung in Großbritannien und den nachfolgenden EU-Gipfel in Brüssel abzuwarten, hatte die slowakische Regierung ihr Vorsitzprogramm erst am Donnerstag präsentiert. Außenminister Miroslav Lajcak kündigte dabei auch einen EU-Sondergipfel zu den Brexit-Folgen für den 16. September in Bratislava an.
Zur Verhandlungsposition der EU gegenüber Großbritannien betonte Lajcak, das Land könne nicht nur Rechte behalten, aber keine Pflichten wahrnehmen: „Ein Europa á la carte kann es nicht geben. 28 bilaterale Verträge mit Brüssel wären das Ende der EU.“
Söder möchte Europäische Bankenaufsicht nach München holen
Bayern möchte nach einem Bericht die Europäische Bankenaufsicht (EBA) von London nach München holen. Das habe Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) in einem Brief an Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorgeschlagen, berichtet die "Süddeutsche Zeitung".
Söder bitte die Bundesregierung in dem Schreiben, sich auf europäischer Ebene für die Verlagerung der EBA mit ihren 160 Mitarbeitern einzusetzen. Ziel müsse sein, München als wichtigsten deutschen Finanzplatz nach Frankfurt am Main nachhaltig zu stärken, sagte Söder der Zeitung.
Ob Schäuble der Bitte nachkommt ist ungewiss, da sich auch Frankfurt für die EBA interessiert. Da schon die Europäische Zentralbank in Frankfurt beheimatet sei, wäre der Zuzug der Bankenaufsicht „folgerichtig“, sagte Hubertus Väth von der Standortinitiative Frankfurt Main Finance. Dass die Bankenaufsicht London verlassen wird, hat sie schon vor dem Referendum für den Fall eines Brexit angekündigt. Die EU-Behörde ist Teil der europäischen Aufsichtsstruktur, zu der auch die Wertpapieraufsicht ESMA in Paris und die Versicherungsaufsicht EIOPA in Frankfurt gehören.
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