
© AFP/John Macdougall
Scheitern der Jamaika-Sondierung: Steinmeier spricht mit FDP-Chef Lindner und Grünen
Der Bundespräsident mischt sich in die Regierungsbildung ein. Kanzlerin Merkel würde bei einer Neuwahl wieder antreten. Die SPD bleibt beim Nein zu Schwarz-Rot. Die Entwicklungen im Newsblog.
Stand:
- Die Jamaika-Sondierung ist gescheitert, FDP-Chef Christian Lindner begründet das mit fehlendem Vertrauen.
- Die SPD schließt eine erneute große Koalition aus.
- Neuwahlen oder Minderheitsregierung sind jetzt die Optionen.
- Die Entwicklungen vom Sonntag und erste Reaktionen können Sie hier noch einmal nachlesen.
Kommentar: Das Maß ist das Gemeinwohl
Erleben wir da jetzt schon mal ein Ende, ein dramatisches? Es wäre das Ende der Konsensdemokratie. Die AfD freut sich schon. Sind ihnen doch die sogenannten etablierten Parteien in die Falle gegangen. Die zeigen sich in aller Öffentlichkeit kompromissunfähig, konsensunfähig, ja, und mehr noch, konsensunwillig. Was soll der Wähler davon halten?
Nichts, das ist doch klar. Deswegen hat der Bundespräsident alles Recht zu einem ziemlich dramatischen Appell, begleitet von einer ziemlich geharnischten Kritik: Die staatsbürgerliche Verantwortung, die die Parteien eben noch in den Händen hielten, die Macht, die sie haben wollten, an den Wähler zurückzugeben – das geht nicht.
Die Beteiligten der geplatzten Jamaika-Sondierung müssen sich fragen, ob es der Verantwortung für das Land entspricht, sich zu entziehen. Sie spielen sonst Antidemokraten in die Hände, schreibt Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff.
Lesen Sie hier seinen gesamten Leitartikel.

Seiner Ansicht nach haben die Jamaika-Gespräche zu einer weiteren Annäherung von Grünen und Union geführt.
Nach dem Scheitern der Gespräche über ein schwarz-gelb-grünes Bündnis hatte Steinmeier die Parteien aufgerufen, sich erneut um eine Regierungsbildung zu bemühen. „Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält“, sagte Steinmeier am Montag nach einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Schloss Bellevue. (dpa)
Habeck: GroKo besser als Neuwahlen
Der Grünen-Politiker Robert Habeck hält angesichts der gescheiterten Jamaika-Verhandlungen eine Große Koalition für die beste Option. Habeck sagte im "heute journal" des ZDF: "Ich habe immer gesagt, Jamaika ist besser als eine Große Koalition. Aber ich sage auch, eine Große Koalition ist besser als Neuwahlen."
Weiter kritisierte der schleswig-holsteinische Politiker die Verhandlungsführung bei den Jamaika-Sondierungen. Bei den Gesprächen sei viel Zeit vertrödelt worden. Anders als bei den Jamaika-Verhandlungen in Schleswig-Holstein sei erst viel aufgeschrieben und die Konflikte wegmoderiert worden. Am Schluss, als die Zeit des Kompromisses anstand, kamen die Konflikte mit ganzer Härte zum Vorschein.
Die Schuld dafür sieht er aber nicht bei einer Partei allein: "Es war schon eine große Gemeinschaftsleistung, dass wir so eine miserable Stimmung hatten." Am Ende habe die FDP den Ausgang genommen. "Wenn wir ehrlich sind, es gab auch Momente, da hätte auch die CSU oder auch die Grünen sagen können: 'Jetzt reicht's uns'."
Das Scheitern betrachtet Habeck mit großer Selbstkritik: "Als Bürger ärgere ich mich unglaublich, dass es wir, die Politiker - mich eingeschlossen - nicht hingekriegt haben, da etwas Gutes draus zu machen." Es sei erbärmlich, was man abgeliefert habe.
Von einer Minderheitsregierung halte er nichts, so Habeck abschließend: "Das finde ich zwar intellektuell spannend, aber ich glaube, dass die Entscheidungsdichte und -härte (...) so schnell und so radikal ist, dass man eine stabile Regierung braucht."
Lindner im ZDF: "Kein inszeniertes Scheitern"
FDP-Chef Christian Lindner hat den Vorwurf zurückgewiesen, das Scheitern der Jamaika-Gespräche sei inszeniert gewesen. Im "heute journal" des ZDF sagte Lindner, stattdessen habe er der Union bereits am Sonntagvomittag signalisiert, dass er mit den Ergebnissen der Sondierung unzufrieden sei.
Auch den Vorwurf, er habe eine Jamaika-Koalition von Anfang an nicht gewollt, wies Lindner zurück. Der Blick auf Schleswig-Holstein und Rheinland Pfalz zeige, dass die FDP durchaus in der Lage sei, Kompromisse zu schließen. Und daher sei der FDP durchaus bewusst: "Mit 11 Prozent diktiert man nicht ein komplettes Programm."
Allerdings habe seine Partei keines ihrer zentralen Anliegen in dem Sondierungs-Papier wiedergefunden: "Es war letztlich das Programm der Großen Koalition mit einem bisschen grünen Schnittlauch darauf".
Schulz: Merkels Kandidatur-Verkündung ist Verstoß gegen demokratische Gepflogenheiten
SPD-Chef Martin Schulz hält es für unverschämt, dass die CDU-Vorsitzende Angela Merkel für den Fall von Neuwahlen schon wieder ihre Kanzlerkandidatur erklärt hat. Im Interview mit dem Fernsehsender RTL sagte Schulz am Montagabend: „Dass Frau Merkel jetzt schon wieder ins Fernsehen rennt und ihre Kandidatur verkündet, finde ich, ist auch eine Missachtung der Gespräche, die der Bundespräsident ja gerade von allen Parteien angemahnt und eingefordert hat.“
Es sei auch ein Verstoß gegen demokratische Gepflogenheiten, eine solche Kandidatur den „erstaunten Untertanen“ im Fernsehen zu erklären. Das sei bei der SPD anders. Merkel hatte nach dem Abbruch der Jamaika-Sondierungen im ARD-„Brennpunkt“ erklärt, sie sei „eine Frau, die Verantwortung hat und auch bereit ist, weiter Verantwortung zu übernehmen“.
Schulz hatte bereits erklärt, dass er im Fall von Neuwahlen als Parteivorsitzender das Vorschlagsrecht für den kommenden Kanzlerkandidaten habe. Er ließ aber offen, ob er selbst erneut als Spitzenkandidat antreten würde.
Nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit allen beteiligten Parteivorsitzenden und auch mit Schulz über Möglichkeiten einer Regierungsbildung sprechen. Die SPD-Spitze hat eine Neuauflage der großen Koalition mit der Union aber bereits ausgeschlossen. Steinmeier trifft sich am Mittwoch mit Schulz. Bis zum Montagabend hatte Merkel den SPD-Vorsitzenden noch nicht kontaktiert, hieß es aus der SPD.
Lindner in der ARD: "Mit grünem Faden gewoben"
FDP-Chef Christian Lindner hat die Entscheidung seiner Partei, die Sondierungsgespräche abzubrechen, verteidigt. In der ARD sagte Lindner am Abend: "Alles, was wir erarbeitet haben, war mit einem grünem Faden gewoben." Daher sei es konsequent gewesen, auszusteigen.
Lindner sagte weiter: "Anders als die SPD haben wir uns nicht sofort in die Büsche geschlagen." Das Ergebnis der Sondierungen habe aber nicht dem entsprochen, was man den Wählerinnen und Wählern vor der Wahl versprochen habe. Daher halte er den Abbruch der Gespräche für eine Frage der Verantwortung.
Merkel im ZDF: "Die Menschen wollten Jamaika"
Der Abbruch der Jamaika-Sondierungen kam für Bundeskanzlerin Merkel nicht überraschend. "Es hatte sich den Tag über schon angedeutet", sagte Merkel am Montagabend im ZDF. Über die Motive der FDP für den Abbruch sowie die Frage, seit wann die Liberalen den Ausstieg geplant haben, wollte sie indes nicht spekulieren.
Sie sei aber weiter der Ansicht, dass in den Sondierungsgesprächen ein gutes Ergebnis möglich gewesen wäre. Die Kanzlerin äußerte dabei die Überzeugung, die Wählerinnen und Wähler hätten Jamaika gewollt: "Die allermeisten Menschen wollten, dass wir eine Regierung bilden.
Gefragt nach der Möglichkeit einer Regierung ohne eigene Mehrheit sagte Merkel weiter: "Über Minderheitsregierungen denke ich ungerne nach (...) Deutschland braucht eine stabile Regierung. Insofern bin ich da skeptisch. (...) Es ist nach wie vor mein Ziel, eine stabile Regierung zu bilden."
Damit würde es eventuell doch zu Neuwahlen kommen: "Ich schließe das nicht aus", so Merkel. Neuwahlen seien aber nicht das, was die Wähler als Auftrag gegeben hätten. Wenn es aber so käme, dann werde sie erneut als Spitzenkandidatin antreten. Auf die Frage, ob sie in einem Jahr noch Bundeskanzlerin sei, sagte Merkel zum Abschluss: "Ich hoffe es".
Merkel: Stabilität weiterhin gegeben
Die Stabilität Deutschlands ist nach den Worten von Bundeskanzlerin Merkel durch das Scheitern der Jamaika\-Sondierungen nicht bedroht. Es sei zwar “bedauerlich, dass es zu dieser Situation gekommen ist”, sagte die Kanzlerin im ARD\-Brennpunkt. “Aber ich sage, dass wir weiter Stabilität in diesem Land haben. Wir haben glücklicherweise eine sehr gute Verfassung, die nach den Erfahrungen der Weimarer Republik für alle Fälle Vorsorge getroffen hat.” Auch wenn die Regierungsbildung jetzt schwieriger werde, sei man “in einer stabilen Phase, in der wir neue Weichen stellen können”.
Einer Zusammenarbeit mit der AfD erteilte Merkel eine kategorische Absage: “Es ist vollkommen klar, dass wir uns nicht von den Stimmen der AfD abhängig machen.” Zurückhaltend äußerte sie sich über neue Angebote an die SPD: Der Bundespräsident werde jetzt “auf alle Parteivorsitzenden zugehen”. Erst “im Lichte dieser Gespräche” werde sie über eigene neue Kontakte zur SPD entscheiden. Anscheinend sei die aber aktuell “weiter nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen.”
Eine Minderheitsregierung schloss Merkel nicht ganz und gar aus. Die Frage “wie weiter” stelle sich erst, wenn nach Gesprächen des Bundespräsidenten eine Regierungsbildung weiter nicht möglich erscheine. “Der Weg der Neuwahl ist ein Weg. Eine Minderheitsregierung ist nicht in meinen Planungen. Ich sage nicht ‘nicht und niemals’, aber das wäre sicher sehr sehr genau zu überlegen.
Sie selbst, so Merkel, sei bereit weiterzumachen: “Ich habe heute vor einem Jahr erklärt, dass ich kandidiere. Ich wurde im Wahlkampf immer wieder gefragt, ob das für vier Jahre gilt. Jetzt sind zwei Monate rum. Es wäre sehr komisch jetzt zu sagen: Das gilt nicht mehr.
Merkel: Ich habe getan, was ich konnte
Angela Merkel hat sich jetzt im ARD-Interview zum ersten Mal zu den geplatzten Sondierungsgesprächen geäußert. Auch bei ihr herrscht die Grundhaltung vor: Das hätte eigentlich etwas werden können. Direkt nach dem Verhalten der FDP gefragt, sagt sie: "Ich will das nicht bewerten, nach meiner Wahrnehmung waren wir auf der Zielgeraden." Die Kanzlerin räumt zugleich ein, "der Wahrheit halber" müssen man sagen, dass es schon am Sonntagmorgen seitens der Liberalen Anzeichen dafür gegeben habe, dass Jamaika scheitern würde. Grundsätzlich aber bleibt Merkel dabei: "Eine Einigung wäre in der Sache möglich gewesen."
Merkel gibt sich auch im Nachhinein kooperativ und in keinster Weise bereit, irgendein schlechtes Wort zu finden. "Ich habe sehr gern mit der FDP gesprochen und ich habe eine sehr, sehr gute Zusammenarbeit mit den Grünen gehabt", betont sie. Im Blick auf die Grünen sagt Merkel außerdem: "Da hat sich Vertrauen aufgebaut. Auch ich habe viel gelernt und auch Positives erlebt." Bei diesen Sondierungsgesprächen habe man "praktisch Koaliationsverhandlungen" geführt, die Gesprächen seien sehr "in die Tiefe" gegangen.
"Ich habe getan, was ich konnte", sagt die Kanzlerin. Auch das Gespräch mit Frank-Walter Steinmeier sei "sehr gut" gewesen: "Jetzt hat der Bundespräsident das Heft des Handels in der Hand." Klar wird, die Kanzlerin hört jetzt noch lange nicht auf: "Sie sehen eine Frau, die Verantwortung trägt und bereit ist, sie auch weiter zu übernehmen."
Im Falle von Neuwahlen stünde die CDU-Vorsitzende noch einmal als Kanzlerkandidatin zur Verfügung. "Also ja", sagte sie in der ARD-Sendung "Brennpunkt" auf die Frage, ob sie dazu bereit sei. Die Kanzlerin bekräftigte ihre Skepsis gegenüber einer Minderheitsregierung: "Ich glaube, dass dann Neuwahlender bessere Weg wären", sagte sie.
Wenn Unternehmer eins nicht mögen, dann ist das Unsicherheit. Entsprechend besorgt haben viele Wirtschaftsvertreter auf das Aus der Jamaika-Gespräche reagiert. Weil die Wirtschaft aber kräftig wächst, ist das politische Wirr Warr verkraftbar, meinen Experten. Lesen Sie die Reaktionen aus der Wirtschaft hier.
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