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Ältere Menschen besuchen in einem Kurpark das Konzert eines Schulorchesters.

© dpa/Arne Dedert

„Mal anerkennen, was Ältere leisten“: Sozial- und Seniorenverbände empört über Vorschlag für Pflichtjahr für Rentner

Der Ökonom Fratzscher fordert, die ältere Generation müsse sich gesellschaftlich stärker einbringen. Seine Äußerungen stoßen auf scharfen Widerspruch. Kritik kommt auch vom DGB.

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Wie können die großen Probleme gelöst werden, vor denen Deutschland steht? Diese Frage wird in der Republik überaus kontrovers diskutiert, es geht dabei auch um die Frage, wie die Lasten zwischen den Generationen besser und gerechter verteilt werden könne. Ein Vorstoß des Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, ein verpflichtendes soziales Jahr für Senioren einzuführen, hat bei Sozial- und Seniorenverbänden große Empörung ausgelöst.

„Wir sollten zur Abwechslung mal anerkennen, was ältere Menschen in diesem Land leisten, anstatt ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie faul sind und der Gesellschaft auf der Tasche liegen“, sagte die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Wir warnen davor, mit solchen Vorschlägen Generationen gegeneinander auszuspielen.

Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied

Bentele warnte davor, ein falsches Bild von älteren Menschen darzustellen. Rentnerinnen und Rentner engagierten sich bereits in der Pflege von Familienangehörigen, bei der Betreuung ihrer Enkel und in ehrenamtlicher Vereinsarbeit.

Als dümmlich bezeichnete Joachim Lautensack vom baden-württembergischen Seniorenverband Öffentlicher Dienst die Forderungen. In Baden-Württemberg würden bereits weit mehr als ein Drittel der Senioren ehrenamtlich tätig sein, in der Altersgruppe zwischen 65 und 74 laut Deutschem Freiwilligensurvey 2019 sogar fast jeder Zweite (43,9 Prozent). „Hinzu kommen sicherlich noch sehr viele ebenfalls unverzichtbare Unterstützungsleistungen im familiären Bereich, die statistisch kaum zu erfassen sind“, sagte Lautensack dem RND.

Kritik kommt auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB): „Ein Pflichtjahr für Rentner lehnen wir ab. Wer jahrzehntelang gearbeitet hat, hat seinen Ruhestand unbedingt verdient. Wir warnen davor, mit solchen Vorschlägen Generationen gegeneinander auszuspielen“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel der Agentur dpa. „Die Frage, wer tatsächlich auf wessen Kosten lebt, ist in allererster Linie eine Frage zwischen Reich und Arm, also zwischen Kapital und Arbeit, und nicht etwa zwischen den Generationen.“

Scharfe Kritik am Rentner-Vorschlag von AfD und BSW

Der AfD-Sozialpolitiker René Springer schrieb bei X: „Das ist ein Schlag ins Gesicht unserer Ältesten. Wer dieses Land aufgebaut hat, verdient Respekt und eine sichere Rente – keine Zwangsdienste.“ BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht sagte, der Vorschlag, „alten Menschen, die ihr Leben lang geschuftet haben und zum Dank dafür in Deutschland oft genug mit Armutsrenten abgespeist werden“ ein Pflichtjahr aufzudrücken, sei an Zynismus kaum zu überbieten.

DIW-Präsident Fratzscher hatte zuvor ein „verpflichtendes soziales Jahr für alle Rentnerinnen und Rentner“ gefordert. Die ältere Generation müsse sich gesellschaftlich „stärker einbringen, beispielsweise im Sozialbereich, aber auch bei der Verteidigung“, sagte er dem „Spiegel“. Die Bundeswehr würde dann von den technischen Fähigkeiten vieler Rentner profitieren, sagte Fratzscher. „Warum sollten wir die nicht nutzen, gerade von Leuten, die früher bei der Bundeswehr ausgebildet wurden?“

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), spricht bei einem Interview.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Die Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht verenge sich häufig auf die jungen Generationen, beklagte Fratzscher. Diese seien aber bereits stark durch steigende Sozialabgaben und die Folgen des Klimawandels belastet. „Wir brauchen mehr Solidarität der Alten mit den Jungen“, sagte Fratzscher. Nötig sei die Verhandlung eines „neuen Generationenvertrags“ für Deutschland.

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) wies zudem Fratzschers Vorwürfe zurück, wonach die sogenannte Boomer-Generation (zwischen Mitte der 1950er bis Ende der 1960er Jahre Geborene) zu wenig Kinder bekommen habe. „Wieso sollten ausschließlich die Jungen für diese Lebensentscheidungen der Babyboomer geradestehen?“, hatte Fratzscher gefragt.

„Die ,Lebensentscheidung’, keine vier Kinder zu bekommen, erfolgte bei Millionen Menschen auch aus finanziellen Gründen“, sagte SoVD-Chefin Michaela Engelmeier der dpa verwies auf eine gestiegene Notwendigkeit zur Erwerbsarbeit für beide Partner wegen steigender Kosten. „Ihnen nun daraus einen Strick zu drehen, dass man sich zur Strafe gefälligst im Rentenalter engagieren müsse, empfinden wir als respektlos“, fügte Engelmeier hinzu.

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